Das geschenkte Gesicht
Luxuskeller umgezogen. Um allen etwaigen Komplikationen aus dem Wege zu gehen, hatte Petsch dann die Einladung zum Weihnachtsfest und zu Silvester ausgeschlagen und war angeblich zu einem Vetter nach Düsseldorf gefahren. In Wahrheit saß er bei einem Bauern in Knapsack herum, trank selbstgebrauten Knollenschnaps, baute ein Dachgeschoß des alten Hauses aus und vergnügte sich mit einer Nichte des Bauern, die aus Krefeld gekommen war, um den Onkel um einen Neujahrsbraten zu bitten.
Nach den Feiertagen kam er schwer beladen zurück, und dann klapperten sie die Baustoffhändler und Glaslieferanten ab und feilschten um Material gegen Butter und Schinken, Zigaretten und amerikanische Stangenschokolade.
»Warum tust du das alles, Karlheinz?« fragte Schwabe einmal, als sie im Vorgebirge bei einem Bauern ein Gewächshaus bauten und in der Mittagspause Sauerkraut mit einem dicken Eisbein bekamen.
»Deine Frau hat mich einmal in großer Not nicht verlassen.«
»Das war doch selbstverständlich.«
»Na ja. Und ebenso selbstverständlich ist das, was ich mache. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, Kumpel, eisern wie ein Büstenhalter, rutschen wir ab!«
Sie lachten, und es war alles gut. Unter Männern sind seelische Probleme schnell gelöst und geklärt. Erich Schwabe hob sich ein halbes Eisbein auf und wickelte es in Papier. Petsch zog die Augenbrauen hoch.
»Was gibt denn das?«
»Für Uschi. Sie ißt so gern Eisbein.«
»Quatsch! Iß es selbst, Erich. Für Uschi holen wir uns noch zwei Stück vom Bauern. Oder ich streu' ihm Salz in 'n Beton. Dann bricht dem die ganze Chose in zwei Jahren zusammen und keiner weiß, woher das kommt.«
Abends saßen sie oft zusammen in Schwabes neuer Wohnung und tranken den Habra, wie im Volksmund der ›Hausbrand‹ hieß, der heimlich in den Kellern gebrannte Schnaps aus Kornmaische oder Kartoffeln. Geniale Konstruktionen aus alten Milchkannen und Einkochkesseln bruzzelten in Hunderten von Kellern auf rostigen Küchenherden, und vom Opa bis zum Enkel hockte des Nachts alles um das Brenngerät, filterte den Schnaps durch Tierkohle, verschnitt ihn auf 38 Prozent mit abgekochtem Wasser und füllte ihn in Weinflaschen ab. Fast ständig lag über den Trümmern ein leichter Schnapsgeruch. Niemand kümmerte sich mehr darum, selbst nicht die Polizei, die nur ab und zu eine Schwarzbrennerei aushob, um der Gesetzespflicht zu genügen.
Auch Karlheinz Petsch brannte schwarz. Er hatte Kupferrohre besorgt und lange Kühlschlangen daraus gebogen. Er brannte den Alkohol zweimal, ehe er ihn filterte. »So rein ist kein staatlich überwachter Sprit«, sagte er stolz, als er die ersten Flaschen zu Schwabes brachte. »Übermorgen kriege ich drei Zentner Korn. Das setzen wir alles an. Und dann wird gebrannt wie in den Wodkafabriken.«
»Und wo sollen wir hin mit den hundert Flaschen?« fragte Erich Schwabe.
»Auch dafür hat Holzauge gesorgt!« Karlheinz Petsch lachte und schlug Schwabe auf die Schulter. »Für dreihundert Pullen Habra kann ich ein Auto bekommen, einen alten Opel P4. Aber der Karren läuft noch wie eine Jungfrau zum Rendezvous. Mensch, Erich – einen eigenen Wagen! Was das bedeutet! Schneller Material herbei, weitere Kundenkreise, kleine Spritztouren nach Bayern – wir werden die Firma Schwabe und Petsch schon schaukeln, was?«
Eine Woche lang brannten Erich Schwabe und Karlheinz Petsch in einem leerstehenden Keller von Schwabes Haus dreihundertneununddreißig Weinflaschen voll Kornschnaps. Als sie aus dem Keller krochen, rochen sie nach Schnaps, als hätten sie darin gebadet. »Unser Auto steht«, sagte Erich Schwabe. »Wohin geht die erste Tour?«
»Wohin unsere Uschi will!« schrie Petsch.
Ursula wandte sich wortlos ab und ging in den Nebenraum zu Hedwig Schwabe. Erich hob die Schultern.
»Trotz allem, Karlheinz – bist eben nicht ihr Typ.«
Petsch putzte sich geräuschvoll die Nase. Verdammt, dachte er. Er ist ein so feiner Kumpel. Es wäre schade, wenn das in die Brüche ginge – wegen damals. Aber ich komme von Uschi, diesem blonden Biest, nicht los. Was kann ich dafür.
Am Sonntag fuhren sie alle mit dem ratternden und hüpfenden P4 in den Königsforst. Die Straßen waren noch verschneit, und der Wald sah mit seinen verharschten Schneehauben aus wie in einem Märchenbuch.
In einem Thermoskessel, den Petsch von einer amerikanischen Küche auf unerklärte Weise erhalten hatte, nahm man eine Suppe mit, die eine Spezialanfertigung Frau Hedwig Schwabes war. Es hatte
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