Das geschenkte Gesicht
alles, was einmal die Welt des Erich Schwabe gewesen war.
»Es hat keinen Sinn, hierherzukommen. Ich werde niemanden empfangen, ich will keinen mehr sehen. Ich schließe hiermit das Leben des Erich Schwabe ab, für Euch und für alle. Was übrigbleibt und hier hinter einer Mauer weiterlebt – was kann es Euch interessieren? In eine Scheidung willige ich hiermit ein. Besorgt alles und macht es schnell.
Und lebt weiter – und laßt mich in Ruhe.
Erich Schwabe.«
Das war der Schluß des Briefes, den Walter Hertz mit seiner schönen Handschrift für Schwabe schrieb. Baumann, der die Post auf den Stationen einsammelte, brachte den Brief sofort zu Dr. Mainetti, die das Kuvert sinnend zwischen den Fingern drehte.
»Man sollte es aufmachen, Frau Doktor«, sagte Baumann. »Hier dürfen wir es.«
»Warum?« Lisa legte den Brief Schwabes auf den Stapel der anderen Post zurück. »Ich weiß, was er geschrieben hat.«
»Ich auch, Frau Doktor. Ich habe es abgelehnt, diesen Blödsinn zu schreiben. Aber der Hertz ist ja genauso verrückt. Was sollen wir tun?«
»Abschicken, Baumann.«
»Aber die Frau? Wenn es nun gar nicht wahr ist? Wenn der Erich sich das zurechtgesponnen hat?«
»Das wird sich jetzt herausstellen. Sie wird diesen Brief ja nicht unbeantwortet lassen. Vor allem die Mutter wird kommen.«
»Und er wird keinen anhören.«
»Abwarten, Baumann.« Dr. Mainetti gab ihm die Briefe zurück. »Ich bin ja auch noch da.« Sie dachte an das Gesicht Schwabes und an das, was noch an ihm getan werden mußte, ehe man sagen konnte: ›Mehr können wir nicht tun.‹ Es würde drei oder vier Jahre dauern.
»Und Zeit haben wir, Baumann, viel Zeit. Bei Schwabe ist manches zu schnell gegangen. Das war ein Fehler, an dem auch ich mitschuldig bin.«
Drei Tage später trafen Ursula und Frau Hedwig Schwabe in Bernegg ein.
Dr. Mainetti hatte es erwartet, als ein Telegramm auf dem Schloß eintraf, das Schwabe ungeöffnet zerriß und wegwarf. Lisa aber hatte sofort ein Doppelzimmer auf Abruf reservieren lassen, und Professor Rusch hatte mit der Würzburger Klinik telefoniert und ein Bett auf der Wöchnerinnen-Station bestellt.
Dr. Mainetti fuhr sofort hinunter nach Bernegg, als Frau Hedwig Schwabe anrief. Ursula sah aus, wie eine Frau aussieht, die drei Tage und Nächte nicht geschlafen hat. Unter ihrem bleichen, aufgedunsenen Kopf und den schmalen Schultern wirkte der schwere Leib noch unförmiger, und Lisa sah, daß es nur noch Stunden dauerte, bis das Kind zur Welt kam.
Ursula saß starr auf der äußersten Kante eines Stuhls, als Lisa in das Hotelzimmer trat. Bevor sie etwas sagen konnte, hob Ursula die Hand.
»Bitte, bitte, sagen Sie die Wahrheit, Frau Doktor. Ist – ist Erich verrückt geworden?«
»Nein. Nicht direkt.« Lisa Mainetti drückte Frau Hedwig Schwabe die Hand. Die alte Frau war wie damals bei ihrem ersten Besuch in Bernegg von einer beherrschten Ruhe und einer mütterlichen Kraft, die Lisa deutlich spürte. Sie hatte nichts von der Verzweiflung Ursulas an sich. Jetzt, wo ihr Sohn die Wahrheit wußte, begann sie wieder zu kämpfen. Gegen Karlheinz Petsch, gegen Ursula, nur um das Wohl ihres Sohnes sorgend, eine eisgraue Tigerin, die kein Mitleid mehr kannte, mit niemandem – außer mit ihrem Sohn.
Sie hatte in Köln sofort nach dem Eintreffen des Briefes und der Ohnmacht, in die Ursula gefallen war, Karlheinz Petsch in den Keller gerufen. Sie hatte ihm den Brief gezeigt, und als Petsch fröhlich sagte: »Na also, hab' ich doch immer gesagt: ›Alles löst sich von allein.‹ Wenn alles normal läuft, können Uschi und ich im Sommer heiraten« – da hatte sie stumm ihre Hand gehoben und kräftig in das Gesicht Petschs geschlagen.
»Aber Mütterchen …«, hatte Petsch gestammelt, und Frau Schwabe hatte ruhig gesagt:
»Hinaus. Oder ich rufe die Polizei und zeige deine ganzen Schiebereien an.«
»Davon habt ihr ja auch gelebt«, hatte Petsch gebrüllt.
»Natürlich. Und ich werde auch dafür ins Gefängnis gehen. Einer alten Frau macht das nichts mehr aus, es schadet ihr nichts mehr. Aber vor dir haben wir dann endlich Ruhe.«
Und Karlheinz Petsch war hinausgegangen und mit dem P4 abgefahren.
Irgendwohin. Am nächsten Tag holte ein Spediteur seine Möbel aus dem Keller. Frau Schwabe und Ursula fragten nicht. Auch das Paket, das er ihnen bringen sollte, wiesen sie zurück.
»Es sind drei Pfund Rollschinken«, sagte der Möbelpacker.
»Essen Sie ihn.«
»Sie schenken mir drei Pfund
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