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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schinken?«
    »Ja.«
    »So Verrückte müßte ich jeden Tag finden.«
    Dann fuhr er mit Petschs Möbeln ab. Und Frau Schwabe sagte etwas, was auch Ursula empfand und was ihr eine flammende Angst durch das Herz trieb:
    »Zu spät. Was nun?«
    »Wir fahren nach Bernegg, Mutter.«
    »Und dort?«
    »Es wird alles gut werden.«
    »Das glaube ich nicht.« Frau Schwabe sah ihre Schwiegertochter kalt an. »Ich bleibe in Bernegg bei Erich. Er ist mein Kind.«
    »Und ich, Mutter?«
    Frau Schwabe hob stumm die Schultern und wandte sich ab.
    »Ich habe ein Kind von Erich!« schrie Ursula.
    »Wenn er es nicht glaubt?«
    »Aber er weiß doch …«
    »Er weiß von Petsch. Einmal mußte es soweit kommen. Er ist mein Sohn, und er hat kein Gesicht mehr. Mich wird er wiedersehen wollen – ich bin seine Mutter.«
    »Das heißt – das heißt –«, stammelte Ursula, »– daß ich …«
    Frau Schwabe nahm ihren Einkaufskorb und legte einen Schal um ihre weißen Haare. »Vielleicht. Ich gehe jetzt einkaufen. Auf Abschnitt 10 gibt es drei Eier.«
    Nun saßen sie Dr. Mainetti gegenüber, und Lisa spürte den Bruch, der zwischen den beiden Frauen war.
    »Sie wissen, wie die Situation ist«, sagte sie ernst. »Ihr Mann, Frau Schwabe, war heimlich in Köln.«
    »Er – er war in Köln?« sagte Ursula wie eine aufgezogene Sprechpuppe.
    »Er hat einen anonymen Brief bekommen. In Köln erlebte er, durch Zufall, von einem Trümmergrundstück aus, wie Sie mit diesem Karlheinz Petsch in seinem Wagen nach Hause kamen und ihn küßten.«
    »Hure«, sagte Frau Hedwig Schwabe eisig.
    Ursulas Kopf sank auf die Brust. Sie schüttelte ihn ganz schwach und kaum sichtbar.
    »Ich weiß«, sagte sie mit heller Stimme wie ein Kind. »Aber es war ganz anders.«
    »Auch als er bei dir im Bett lag und dir Seidenstrümpfe schenkte? Wie eine Hure hat er dich bezahlt.«
    »Nein, damals war es wahr.« Ursula sah mit flatternden Augen zu Dr. Mainetti auf. »Ja, ich habe etwas mit diesem Petsch gehabt. Aber ich habe es bereut, jeden Tag, jede Stunde bereut. Damals war ich verzweifelt und einsam, und er kam herein, und er war Leben, warmes, lustiges Leben. Aber seitdem war nichts mehr, gar nichts. Warum glaubt ihr mir denn nicht?«
    »Und der Kuß, den Erich gesehen hat?« fragte Frau Schwabe hart und mitleidlos.
    »Das war Dankbarkeit.«
    »So kann man's auch nennen«, lachte Frau Schwabe bitter.
    »Petsch war mit mir zur Klinik gefahren. Ich habe mich noch einmal untersuchen lassen, um genau zu wissen, wann das Kind kommt. Ich – ich hatte einen Plan. Wenn ich noch etwas Zeit gehabt hätte, wollte ich nach Bernegg fahren, zu Erich. Aber der Arzt sagte, ich solle in Köln bleiben. Es wäre ungewiß, ob ich die lange Eisenbahnreise überstehen könnte. Und dann hat mir Petsch angeboten, mich mit dem Auto nach Bernegg zu bringen. Und darum habe ich ihm einen Kuß gegeben – nur darum …«
    Frau Hedwig Schwabe sah starr aus dem Fenster. Ihr Gesicht war maskenhaft weiß und unbeweglich. So war es, dachte sie, oder so könnte es gewesen sein. Und wenn es nur eine Lüge war? In ihrer Kampfbereitschaft für ihren Sohn war sie gewillt, an das letztere zu glauben. Sie lügt, redete sie sich ein. Es darf nicht anders sein. Sie lügt.
    Dr. Mainetti ging wortlos im Zimmer auf und ab. Sie war bereit, Ursula zu glauben, und grübelte nun darüber nach, wie man es Erich Schwabe erklären sollte. Eines war nun gewiß: Es hatte ein paar Stunden gegeben, in denen Ursula Schwabe ihren Mann vergessen hatte. Diese Stunden so zu erklären, daß sie auch Erich Schwabe begriff, war ein Unternehmen, das selbst Lisa Mainetti in diesem Zustand Schwabes als aussichtslos betrachtete. Für ihn gab es keine Erklärungen mehr, keine Argumente, keine verzeihende Vernunft. Für ihn gab es nur noch die Abkehr von allem, was gewesen war, die völlige Isolierung seines Ichs, eine kleine, neue Welt, die so eng war, daß sie nur Platz bot für ihn allein. Und heute und auch in den kommenden Wochen war es unmöglich, ihn aus dieser Welt herauszureißen. Es bedurfte nur eines Blicks in den Spiegel, und er würde wieder zurückrasen in die Einsamkeit. Erst wenn sein Gesicht wieder so aussah, daß er selbst von sich sagen konnte: Ich sehe wieder wie ein Mensch aus – erst dann gab es eine Möglichkeit, eine Brücke zwischen Einsamkeit und Leben zu bauen.
    Dr. Mainetti blieb stehen. Sie sah die beiden Frauen mit einem Ausdruck an, der Frau Hedwig Schwabe instinktiv erkennen ließ, daß hier eine Gegnerin

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