Das geschenkte Gesicht
vor denen Sie fliehen wollen.«
»Aber Sie sind meine einzige Rettung«, schrie Schwabe. Er sprang auf und streckte beide Arme weit nach Lisa Mainetti aus. »Sie sind doch meine ganze übriggebliebene Welt. Sie machen mir ein neues Gesicht … Sie geben mir alles wieder, was ich verloren habe. Nicht wahr, das tun Sie doch? Sie schenken mir ein Gesicht?«
»Was ich mit Skalpell und Nadel tun kann, das werde ich machen, Sie wissen das, Schwabe.« Dr. Mainetti sprach laut und grob, wie man es im Lazarett früher von ihr gewöhnt war. »Aber Ihre miese Weltanschauung und Ihren Charakter kann ich nicht vernähen. Wenn ein Kind, Ihr Kind, Sie nicht einmal zu rühren vermag. Mein lieber Schwabe – Ihr Gesicht werde ich wieder aufbauen, aber als Mensch verachte ich Sie.«
Erich Schwabe lehnte sich schlaff an die Wand. »Ich will einen Schlußstrich ziehen«, sagte er noch einmal dumpf. »Das Kind soll nie einen solchen Vater sehen.« Er schluckte und wischte sich über die Augen. »Es wird glücklicher sein, bestimmt. Ein toter Vater ist besser als ein lebendes Ungeheuer von Vater.«
Dr. Mainetti schwieg. Es war im Augenblick sinnlos, weiter mit Schwabe darüber zu reden.
Die Monate gingen langsam und träge dahin. Die Tage klebten an den Stundenzeigern der Uhren wie zäher Schmutz. Nach der Schneeschmelze und den ersten warmen Sonnentagen kam der Aprilregen und überschüttete das Land mit Wassermengen, als wolle er die Erde durchweichen und die Wunden des Krieges auswaschen.
Professor Dr. Rusch hatte selbst mit Frau Hedwig Schwabe und Ursula gesprochen. Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus hatte sich Frau Schwabe ihrer Schwiegertochter wieder angenommen, nicht aus verzeihender Liebe, sondern aus dem Gefühl des Mitleids heraus. Sechsmal hatte sie versucht, Erich Schwabe zu besuchen und zu sprechen, und jedesmal war sie abgewiesen worden. Die Briefe und die vom Mund abgesparten Eßpakete kamen ungeöffnet zurück.
»Es hat keinen Zweck, er steckt in einer seelischen Krise, die nur noch schlimmer wird, wenn man sie mit Gewalt, und sei es die Gewalt der Liebe, zu lösen sucht. Er wird von allein aus seiner Isolation herausfinden.« Das war ein schwacher Trost, den Dr. Mainetti geben konnte. Aber sie riet auch gleichzeitig, niemals in eine Scheidung einzuwilligen. Auch Professor Rusch war der Ansicht und überbrachte Schwabe selbst die Antwort seiner Frau.
»Da können Sie gar nichts machen, Schwabe«, sagte er, den Brief erklärend, den er selbst aufgesetzt hatte und den Ursula nur abgeschrieben hatte. »Ihre Frau lehnt eine Scheidung ab. Sie selbst können keinerlei Gründe angeben, die ein Gericht anerkennen würde, das wissen Sie. Mißtrauen allein genügt nicht!«
Schwabe las den Brief Ursulas mit ihrer strikten Weigerung. Er hob die Schultern und gab das Schreiben an Professor Rusch zurück.
»Auch gut«, sagte er gleichgültig. »Den Brief hat Frau Doktor gut geschrieben.«
»Irrtum.« Rusch faltete den Brief zusammen. »Ich habe ihn aufgesetzt.«
Schwabe wandte sich ab und klappte ein Buch auf. Es war sein einziger Schutz – die Flucht in die Phantasie. Um ihn herum war alles Persönliche gestorben. Er war ein fast anonymer Patient. Dr. Mainetti und Professor Rusch operierten ihn in gewissen Abständen, je nachdem die Eingriffe verheilten und neue Gesichtspartien aufgebaut werden konnten. Sie sprachen dabei nicht mehr wie früher ein persönliches Wort mit ihm. Stumm kletterte Schwabe auf den Operationstisch, bekam seine Narkose und wurde operiert. Famulus Baumann kam nicht mehr Skat spielen, kein Witz machte mehr die Runde durch den Block B, der einzige, der noch zu Schwabe fand, war Walter Hertz mit seiner neuen Rachephilosophie, die in dem Satz gipfelte: »Wir sind dazu geboren worden, die Menschen durch Ekel von ihrer Dummheit zu heilen.«
Die geschwulstartigen Verwachsungen in der Nase Schwabes stellten sich als nicht bösartig heraus. Vier Tage warteten Rusch und Lisa auf den histologischen Befund aus Würzburg, und als er eintraf, atmeten sie erleichtert auf. Es war eine an sich harmlose Wucherung des transplantierten Knochenstücks gewesen, dessen Auswirkung auf die Nerven allerdings äußerst gefährlich werden konnte.
Zwei Stunden dauerte die Operation, die Schwabe seine dritte Nase geben sollte. Als er aus der Narkose erwachte, lag er, wie damals Ursula in Würzburg, allein auf dem Zimmer in seinem Bett. Walter Hertz half in der Küche, Baumann, der sonst am Bett gesessen und das Aufwachen
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