Das geschenkte Gesicht
Unter- und Oberfrankens, in Barackenlager und Privatzimmer, die manchmal mit Gewalt beschlagnahmt wurden.
Zu den ständigen Insassen des Blocks B kamen die Ambulanten. Sie reisten von allen Ecken Westdeutschlands heran und ließen sich nachoperieren. Viele Bekannte aus den Kriegstagen kehrten für Wochen nach Bernegg zurück, auch Fritz Adam, der Medizinstudent, dessen püppchenhafte Frau Irene ihn wegen Dr. Fred Urban verlassen hatte.
Ohne Anmeldung war er plötzlich auf dem Schloß, und Baumann fiel ihm um den Hals wie einem zurückgekehrten Bruder. Dora Graff, die kleine Rotkreuzschwester, war mitgekommen. Sie hieß jetzt Dora Adam, und das Glück strahlte froh aus ihren Augen.
»Kinder«, sagte Dr. Mainetti und legte die Arme um die Schultern der beiden. »Ich freue mich so, daß ihr beide es geschafft habt!«
Fritz Adam studierte wieder Medizin in Heidelberg. Es war die erste Universität, die wieder voll arbeitete. Schon am 15. August 1945 hatte die medizinische Fakultät die Arbeit aufgenommen, und seit dem 7. Januar 1946 war die Universität mit allen Fakultäten wieder eröffnet. Dora Adam arbeitete in der Medizinischen Klinik als Oberschwester und verdiente den gesamten Unterhalt der jungen Ehe. Die Scheidung von seiner ersten Frau Irene war nur eine Formsache gewesen. Das Gericht, das darüber zu entscheiden hatte, schloß die Verhandlung nach wenigen Minuten, als Irene unbefangen sagte: »Es ist mir unmöglich, mit einem Mann ohne Gesicht zusammenzuleben. Dazu bin ich noch zu jung.« Der wahre Scheidungsgrund war allerdings die Sache mit Dr. Urban gewesen, die Irene ebenso unbefangen zugab.
Nach der Verhandlung drückte der Vorsitzende fast provokatorisch Fritz Adam die Hand und sagte:
»Ich gratuliere Ihnen, die haben Sie los.«
»Wie geht es den anderen?« fragte Fritz Adam, als sie jetzt in Dr. Mainettis Zimmer saßen und ein Stück trockenen Hefekuchen aßen.
»Von dem Berliner weiß ich, daß er im Harz ist und das halbe Dorf schon ›'ne Molle‹ sagen kann. Der Wastl beackert seinen Hof wieder und hat mir dreimal ein Freßpaket geschickt und Oster … na, Sie haben das ja gehört.«
»Von Oster?« Professor Rusch erinnerte sich sofort an ihn. Christian Oster, der als einziger unter den Gesichtsverletzten von Schloß Bernegg mit einem neuen Gesicht entlassen worden war. Drei Jahre hatte man an ihm aufgebaut, was nur möglich war. Die vielen kleinen Eingriffe waren gar nicht mehr zu zählen. »Was ist mit Oster?«
Adam warf einen raschen Blick hinüber zu seiner Frau. »Oster – Oster ist tot.«
»Tot?« Rusch riß erstaunt die Augen auf. »Wie kam denn das? Er war doch kerngesund.«
»Sie haben es nicht gelesen?«
»Gelesen?« Dr. Mainetti hatte ein ungutes Gefühl. »Ist etwas geschehen mit Oster?«
»Er hat erst seine Frau und dann sich selbst getötet.«
Professor Rusch setzte die Tasse, aus der er gerade dünnen Bohnenkaffee trank, hart auf den Tisch. »Aber er war doch am besten dran von allen!«
Fritz Adam hob die Schultern. »Trotzdem. Seine Frau, die sich mit diesem fremden Gesicht nicht abfinden konnte, die Umwelt, die Oster mit triefendem Mitleid überschüttete, das Saufen, bei dem er Zuflucht suchte – es muß für ihn eine unbeschreibliche Hölle gewesen sein. Und dann kam der Kurzschluß.« Adam sah Rusch und Lisa an, die starr auf ihren Stühlen saßen. »Ich dachte, Sie wüßten es. Man hatte mir eine Nachricht geschickt, weil man unter Osters Post auch Briefe von mir fand. Ich bin zum Begräbnis gefahren. Die Nachbarn Osters standen stumm um das Doppelgrab und starrten mich an, als müßte ich der nächste sein. Es war furchtbar. Und der Pfarrer sagte: ›Er zerbrach an seinem Schicksal … ‹ Das war falsch. Christian Oster zerbrach an seiner Umwelt, die ihn nicht mehr aufnahm.«
Professor Rusch sah auf seine Hände und bewegte die Finger, als spiele er auf unsichtbaren Tasten. »Da gibt man einem Menschen wieder ein Gesicht«, sagte er leise, »man operiert ihn drei Jahre lang, mit unendlicher Geduld, Millimeter um Millimeter holt man ihn zu den Menschen zurück – und dann kommen sie her und treiben ihn in die Verzweiflung, aus Dummheit, aus Borniertheit, aus Seelenkälte, aus Gleichgültigkeit. Verdammt, es ist zum Kotzen.« Er sprang erregt auf und lief in dem großen Chefzimmer hin und her. »In diesem Augenblick könnte ich lernen, die Menschen zu hassen wie Schwabe«, rief er laut. Fritz Adam und seine Frau Dora zuckten fast gleichzeitig zusammen.
»Was
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