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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kehle herunterdrücken. Der Kübelwagen tanzte auf der glatten Bergstraße zum Schloß hinauf und entschwand langsam ihren Blicken.
    »Und ich, ich habe zwölf neue Arten entdeckt, wie man Steckrüben zubereiten kann«, sagte sie leise.
    Dann wandte sie sich ab und starrte in den Nacken der vor ihr Stehenden. Er hat mich nicht gesehen, sagte sie sich immer und immer wieder. Sie sind zu schnell gefahren, er konnte mich nicht sehen. Er wäre nie vorbeigefahren, nie, nie. Ich bin doch seine Mutter.
    In der Eingangshalle von Block B stand Dr. Mainetti mit Dr. Vohrer zusammen, als Baumann und Schwabe zurückkamen. Baumann schüttelte den Schnee von seinem Mantel, ließ Schwabe einfach in der Halle stehen und ging auf sein Zimmer. Verwundert trat Lisa auf Schwabe zu.
    »Na, wie war's?« fragte sie. »Sieht die Kleine nicht süß aus? Und wie geht es Ihrer Frau?«
    »Ich muß mit Ihnen sprechen, Frau Doktor«, sagte Schwabe tonlos.
    »Natürlich. Jetzt sofort? Sie wollen wieder nach Haus, was?«
    Sie ging voraus, hielt Schwabe die Tür zu ihrem Zimmer auf und wartete, bis sich Schwabe zögernd gesetzt hatte. Dann ging sie zu ihrem Bücherschrank, nahm die letzte Flasche Whisky heraus, ein immer mehr schwindendes Andenken an Major James Braddock, goß zwei Gläser viertelvoll und schob eines von ihnen zu Schwabe über den Tisch.
    »Na, nun schießen Sie mal los. Es hat sich alles geklärt, nicht wahr?«
    »Ja, Frau Doktor. Ich möchte Sie bitten, meiner Frau zu sagen, sie soll sich scheiden lassen.«
    Lisa Mainetti setzte das Glas, aus dem sie gerade trank, abrupt ab. »Was soll der Unsinn, Schwabe?« fragte sie grob.
    »Es soll reiner Tisch gemacht werden, Frau Doktor.«
    »Sie haben doch das Kind gesehen?«
    »Ja.«
    »Und Ihre Frau?«
    »Nein.«
    »Hat Baumann nicht …«
    »Er wollte es. Ich habe die Blumen weggeworfen, Frau Doktor. Ich will nicht mehr. Es hat keinen Sinn, länger darüber zu reden. Ich bleibe hier im Lazarett, das wissen Sie. Und wenn Sie mich 'rauswerfen, passiert was.«
    »Das ist Erpressung, Schwabe.«
    »Ich weiß, Frau Doktor. Kommt es darauf noch an? Ich bin ausgestoßen, ich gehöre nicht mehr zu den anderen Menschen, jetzt überhaupt nicht mehr.«
    »Was heißt das, Schwabe: jetzt überhaupt nicht mehr?«
    Schwabes Kopf sank auf die Brust. »Ich habe das Kind gesehen«, sagte er leise und mit schwankender Stimme. »Es ist so schön. Und – und es soll nie einen Vater haben, der so grauenhaft aussieht wie ich. Nie soll es wissen, daß ich der Vater bin. Es soll sich nie vor mir fürchten, sich nie vor seinem Vater ekeln, nie von den anderen Kindern hören ›Dein Papa sieht aber schrecklich aus.‹ Alles, was ich jetzt höre und sehe und fühle, soll ihm erspart bleiben.« Er sah zu Dr. Mainetti auf, und seine Augen schwammen wieder in Tränen. »Sorgen Sie dafür, Frau Doktor, daß alles schnell geht. Daß wir geschieden werden. Daß man dem Kind später, wenn es denken kann, sagt: Dein Vater ist irgendwo in Rußland gefallen. Oder vermißt. Oder in einem Lager verhungert. Irgend etwas wird man schon finden, man hat ja Übung im Lügen.«
    Dr. Mainetti antwortete nicht sofort. Sie sah Schwabe nur lange und stumm an, bis er den Blick senkte und den Kopf zur Seite wandte.
    »Schämen Sie sich nicht?« fragte sie dann leise.
    »Nein.«
    »Sie wollen Ihr unschuldiges Kind dafür bestrafen, daß man Ihnen das Gesicht weggenommen hat.«
    »Ich will ihm lebenslange Qualen ersparen«, schrie Schwabe voller Verzweiflung.
    »Für ein Kind ist der eigene Vater nie eine Qual.«
    »Ich sehe wie ein Scheusal aus«, brüllte Schwabe.
    »Kein Kind wird das empfinden. Wie soll es das auch? Es wächst auf und kennt den Vater gar nicht anders. Gut, er sieht anders aus als andere Papas. Aber kein Mensch sieht aus wie der andere. Das Kind gerade ist es, das Ihnen zeigen wird, daß das Leben weitergeht und daß es so selbstverständlich weitergeht, wie es einen Frühling und einen Sommer gibt, einen Sonnenaufgang und einen Sonnenuntergang, Wolken am Himmel und Sterne in der Nacht.«
    Erich Schwabe verkrampfte die Finger ineinander. Sein mühsam zusammengeflickter Mund zuckte wild.
    »Ich habe kein Vertrauen mehr zu den Menschen«, sagte er leise. »Zu keinem mehr. Ich will hierbleiben, hinter den hohen Mauern, bei Ihnen, Frau Doktor.«
    »Ich bin auch ein Mensch.«
    »Aber ein anderer.«
    »Das ist eine Täuschung. Ich habe meine Fehler und Schwächen wie jeder andere. Ich bin nicht um einen Pfennig besser als die,

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