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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte Dr. Mainetti laut und streckte Petra beide Hände entgegen. »Ich habe mir immer gewünscht, daß Sie noch einmal kommen. Ich brauche Sie so nötig, wie ein Verdurstender das Wasser. Kommen Sie mit – die Überraschung kann nicht groß genug sein.«

20
    Walter Hertz war allein im Zimmer B/14. Er saß am Fenster und putzte seine Schuhe, sah dabei in den Park und auf den Spielrasen, wo eine Gruppe Gesichtsverletzter Faustball spielte. Es waren zum größten Teil ambulante Patienten, die zu Nachoperationen und Korrekturen nach Bernegg gekommen waren. Viele Bekannte aus früheren Tagen waren darunter, aber auch eine Anzahl Fremder, die in anderen Lazaretten behandelt worden waren, zum größten Teil in allgemein-chirurgischen Stationen, und die nun in Bernegg zum erstenmal mit dem in Berührung kamen, was man Gesichtsplastik und Wiederherstellung nannte.
    Erich Schwabe ging mit Dora und Fritz Adam in dem weiten Park spazieren. Sie pflückten Blumen für die Gräber hinter der kleinen Schloßkapelle. Auch der Leutnant Fischer lag noch da, der Mann, an dem nur noch das eine übriggebliebene Auge gelebt hatte, als er eingeliefert worden war. Dr. Mainetti hatte von der kleinen Frau, die so unendlich traurig am Grab gesessen hatte, nichts mehr gehört. Vielleicht war auch sie ein Opfer der letzten Kriegstage geworden, zerrissen von Bomben – sie und das Kind, das sie in sich trug und das ihr einziger Trost gewesen war.
    Walter Hertz sah nicht auf, als hinter ihm die Tür klappte und jemand ins Zimmer kam. »Eine Drecksschuhkrem ist das«, sagte er bloß. »Da ist ja an Spucke mehr dran.«
    Dr. Mainetti schob die zitternde Petra Wolfach vor sich her ins Zimmer, legte den Finger auf den Mund und ging schnell wieder hinaus. Sie zog die Tür so leise hinter sich zu, daß es Walter Hertz nicht vernahm.
    Schmal, mit verkrampften Händen, stand Petra hinter Walter Hertz und betrachtete ihn. Er hatte eine alte Bürste in der Hand, spuckte auf die Schuhspitzen und begann dann, mit weiten Schlägen das Leder blank zu wienern.
    »Sie sehen wie neu aus«, sagte Petra leise.
    Sein Arm blieb in der Luft hängen. Dann fiel die Bürste aus den Fingern, der Schuh folgte ihr, er stieß den Stuhl unter sich weg und schnellte hoch.
    »Petra«, sagte er atemlos. »Wo – wo kommst du her? Wie bist du hereingekommen? Petra!«
    Impulsiv, aus seiner plötzlich aufglühenden Freude heraus, streckte er beide Arme aus, um Petra zu umarmen. Aber dann setzte der überrumpelte Verstand wieder ein, Walter ließ die Arme zurückfallen und trat einen Schritt zurück, als wolle er einen Abstand schaffen, der so gut wie eine Schranke war.
    »Was willst du hier?« fragte er hart. Es machte ihm Mühe, man sah es seinem zuckenden Gesicht an, aber er zwang sich dazu. Denk an Heidelberg, dachte er. Denk an alles, was hinter dir liegt. Es gibt kein Zurück mehr. Es ist wie ein Märchen, das man so oft gelesen hat, daß man es auswendig kann und nicht mehr daran glaubt.
    »Was willst du hier?« fragte er noch einmal, als Petra ihn nur stumm mit großen bittenden Augen ansah.
    »Ich will dich holen, Walter«, antwortete sie leise.
    »So wie man einen Koffer von der Gepäckaufbewahrung abholt, was? Hier bin ich, hier ist der Hinterlegungsschein – nun 'raus mit dem Ding.«
    »Walter!«
    »Ich habe genug von den Wolfachs. Verschwinde!«
    »Ich bin nicht mehr zu Haus, Walter.« Petra stützte sich gegen den Tisch. Sie spürte, wie ihre Beine schwach wurden und der Körper schwer, wie mit Blei gefüllt. »Ich lebe allein, als Sekretärin. Ich verdiene genug, um uns …« Sie schwieg, schluckte mehrmals und preßte dann die Lippen fest aufeinander, um nicht zu weinen.
    Walter Hertz sah sich hilflos um. Niemand war im Zimmer, der ihm einen Rat geben konnte, zu dem er sagen konnte: Sieh dir das an – sie kommt, mich zu holen. Daß ich nicht lache. Komm, Kumpel, laß sie uns auslachen, das dumme Weib. Als ob der Walter Hertz jemals wieder unter die Menschen ginge! Nicht einmal die Liebe eines Mädchens kann ihn dazu bringen – was, Kamerad? Wir sind die gesichtslosen Wesen, und wir werden geschlechtslos. Nur als Mahnung leben wir noch, als herumwandelndes Menetekel: Seht, das ist der Krieg. Seht, das ist der Krieg. Immer und immer wieder. Hundertmal. Tausendmal. In alle Winde. Seht, das ist der Krieg. Nur dazu leben wir noch. Was ist Liebe? Was ist die Wärme eines weichen Frauenkörpers? Was ist das Streicheln einer Hand? Was sind Hingabe und Erfüllung? Das

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