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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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alles ist eine andere Welt, in die wir nicht mehr gehören. Das alles hat man uns weggeschossen, und nun sitzen wir da wie die Ungeheuer, wie Figuren aus einem Gruselkabinett und schreien aus unseren zerfetzten Mäulern: Das ist der Krieg. Und dieses Mädchen kommt einfach daher und sagt: Ich will dich holen … Laßt uns alle miteinander lachen, Kameraden!
    Aber es war niemand da, zu dem Walter Hertz das sagen konnte. Allein und hilflos stand er Petra gegenüber, starrte sie aus seinem hängenden Auge an, strich sich über die eingedrückte Gesichtshälfte und suchte Mut in dem Gefühl, die Narben unter seinen Fingerspitzen zu spüren.
    »Du – du bist also allein?« Das war alles, was aus ihm herausquoll.
    »Ja. Und wir können heiraten.«
    »Heiraten?«
    »Ich bin jetzt 21 Jahre. Ich brauche niemanden mehr zu fragen.«
    »Du brauchst niemanden mehr zu fragen? So, so.«
    Walter Hertz hob seinen Schuh und seine Schuhbürste auf. Sie will mich heiraten, dachte er dabei. Aber was soll ich bei ihr? Sie wird das Geld verdienen, und ich putze das Zimmer, koche und spüle das Geschirr. Und abends, wenn es dunkel ist, werden wir Spazierengehen, immer im Schatten, damit niemand sieht, wie dieser Walter Hertz ausschaut, und damit die Nachbarn nicht, wie bei Christian Oster, sagen können: Die arme, kleine Frau Petra. Wie kann sie nur mit einem solchen Verstümmelten zusammenleben? Die hätte doch auch noch einen anderen Mann bekommen können …
    »Nein«, sagte Walter Hertz laut.
    »Was heißt nein, Walter?«
    »Ich bleibe hier.«
    »Ich habe geglaubt, du hättest mich geliebt«, sagte Petra leise. Es war wie ein Schlag, der Walter Hertz durchfuhr. Er warf den Schuh und die Bürste gegen die Wand und reckte den Kopf weit vor.
    »Sieh dir das an«, brüllte er. »Sieh dir das genau an. Das eingedrückte Gesicht, die Nase, das Auge, die Narben und Flecken, diese abgrundtiefe Häßlichkeit!«
    »Ich kenne es, Walter.« Petra hob die Hand zu ihm hin. »Habe ich es nicht oft gestreichelt? Habe ich es nicht geküßt, manche Nacht?«
    »Man kann ein solches Gesicht nicht lieben«, schrie Walter Hertz. Die Qual zerriß ihn fast, er preßte die Fäuste auf sein Herz und rang nach Luft.
    »Wie willst du das wissen?« sagte Petra schlicht. »Hast du meine Gedanken, meine Gefühle, mein Herz?«
    »Aber – aber es ist doch unmöglich«, stammelte er.
    »Warum?«
    »Ich bin ein Scheusal.«
    »Du bist mein Mann.«
    »Man wird dir keine Ruhe lassen. Alle Leute werden zu dir sagen: Sie müssen wahnsinnig sein, mit einer solchen Fratze zusammenzuleben.«
    »Und ich werde antworten: Ich sehe sein Gesicht gar nicht, ich sehe nur ihn. Was ist ein Gesicht? Eine lebende Maske. Soll ich eine Maske heiraten? Wird eine Symphonie von Beethoven häßlicher, wenn man sie in einer Scheune statt in einem prunkvollen Konzertsaal spielt? Ist ein Leonardo da Vinci in einem zerbrochenen Holzrahmen weniger schön als in einer goldenen Barockverzierung? Ich liebe dich, weil du einfach du bist – so einfach ist das doch, nicht wahr?«
    »Aber dein Vater. Und deine Mutter. ›Sie haben keine Zukunft, junger Mann‹, hat dein Vater gesagt. ›Und ein Mann ohne Zukunft ist doch wohl kein Mann für meine einzige Tochter.‹ Und deine Mutter sagte hinterher: ›Sie müssen verstehen, ich bin Pianistin, ich bin Ästhetin, es wäre mir unerträglich, immer jemanden um mich zu haben – Sie verstehen mich.‹« Walter Hertz atmete tief. »Und ich habe verstanden«, schrie er wieder. »Es ist kein Platz auf der Welt für einen Gesichtskrüppel. Man verletzt die Ästhetik.«
    Petra schüttelte stumm den Kopf. Sie kam auf Walter Hertz zu, ergriff seine schlaffe Hand und zog ihn zu sich her.
    »Komm«, sagte sie, so nüchtern und selbstverständlich, daß Hertz wie ein folgsamer Junge ein paar Schritte bis zur Tür mitging. Aber dann blieb er plötzlich stehen.
    »Nein«, sagte er laut. »Wohin denn?«
    »Zu mir.«
    »Das ist doch alles Unsinn! Was soll denn aus mir werden?«
    »Wieder ein Mensch, Walter.«
    »Sie werden mich alle wegstoßen.«
    »Keiner wird das tun.«
    »Sie haben es ja getan.«
    »Nur meine Eltern. Das ist ein Teil unseres Lebens, den wir vergessen müssen, du und ich. Was gehen uns die anderen an? Es ist genug, wenn die Welt nur aus uns besteht. Was um uns herum ist – sehen wir es als Kulisse an. Wie einfach ist dann das Leben.«
    Eine halbe Stunde später stand Walter Hertz im Zimmer Dr. Lisa Mainettis. Er hatte seine wenigen Sachen gepackt.

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