Das geschenkte Gesicht
nicht mehr darüber reden, nie mehr. Ich stelle fest: Für Sie existiert die Welt da draußen nicht mehr?«
»Genauso ist es.«
»Sie werden auch nichts mehr davon erfahren. Nicht, wie es Ihrer Mutter geht, was Ihre Frau macht.«
»Es interessiert mich nicht«, sagte Schwabe heiser und gepreßt.
»Und auch was das Kind macht, erfahren Sie nicht mehr. Es ist ja nicht Ihr Kind, nicht wahr?«
Schwabe schwieg hartnäckig. Er starrte Dr. Mainetti nach, wie sie zurück zum Block B ging. Er wußte, daß sie ab sofort alles fernhalten würde, was ihn interessieren könnte.
»Erika«, sagte er leise. »Sie verstehen alle deinen Vater nicht. Ich will doch nur, daß ihr glücklich werdet … Mit mir zusammen könntet ihr es nie.«
Dann ging er langsam tiefer in den Park hinein, warf sich zwischen den Bäumen auf den Rücken und starrte in den blauen Himmel und auf die träge ziehenden Sommerwolken.
»Mein Gott«, schrie er plötzlich, »verstehst du mich denn?«
Der Berliner fuhr wieder ab, nachdem man ihm ein paar Narben herausgetrennt hatte. Dem Wastl nahm Professor Rusch endlich den dicken Rollappen weg, indem er ihn als Deckung der aufgerissenen und zerfurchten Stirn einpflanzte. Dann stand auch der Wastl abmarschbereit und mit leerem Rucksack im Zimmer B/14 und drehte seinen grünen Lodenhut mit dem dicken Gamsbart in den Fingern.
»Noch amol, Erich, komm mit. I bring' di unter bei mir. I hob an großen Hof – und Weiber gibt's genug. Von dö Stadt kemmas 'rüber zum Tauschen. Für a Wurst kriagst fast a jede.«
Erich Schwabe lächelte schwach und klopfte dem Wastl auf die breite Schulter.
»Bist ein prima Bursche, Wastl. Aber was soll ich bei euch? Hier im Schloß habe ich meine Arbeit. Und ich bin von allem genauso weit entfernt wie auf deinem Hof. Vor allem aber werde ich operiert.«
»Das stimmt«, sagte der Wastl. »An neue Visagen kann i dir net bieten. Mach's guat, Kumpel.«
Baumann brachte mit Schwabe, Hertz und Adam zusammen den Wastl nach Würzburg an den Zug. Die Leute auf dem Bahnsteig bildeten einen weiten Kreis um die vier Männer ohne Gesichter. Der Wastl nickte und winkte aus dem Fenster.
»Mir san koane Zirkusaffen«, brüllte er.
Die Leute wandten sich ab, teils beschämt, teils empört.
»So muaß ma's machen«, sagte der Wastl und winkte mit dem leeren Rucksack, bis der Zug hinter einer Biegung verschwand.
Nach dem Gesetz, daß sich die Ereignisse, sind sie erst einmal richtig im Fluß, wie Sturmwellen überstürzen, brach über die Stube B/14 eine neue und diesmal wesentlich lautere Entscheidung herein.
In der Halle des Blockes B, abgefangen von Baumann und einer Ordensschwester, stand plötzlich Petra Wolfach und verlangte, Walter Hertz zu sehen.
»Ich bin gekommen, ihn abzuholen«, sagte sie zu Baumann, der sie an der Hand nahm und ins Besuchszimmer zerrte. Dort drückte er sie auf einen der geflochtenen Stühle und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Abholen. Wie damals, was?« sagte er grob. »Haben Sie eine Zwangsjacke mitgebracht? Anders kriegen Sie Walter nicht mehr aus dem Bau. Der hat von allen Wolfachs die Schnauze voll.«
»Ich bin nicht wie mein Vater«, schrie Petra zurück und sprang auf.
»Mag sein – aber Sie sind von Papas Tasche abhängig.«
»Nicht mehr. Ich habe eine Stellung als Sekretärin angenommen. Ich verdiene genug für Walter und mich. Und außerdem bin ich jetzt 21 Jahre.«
Baumann rieb sich die Nase und sah Petra nachdenklich an. Er wußte, daß Walter Hertz noch immer an sie dachte, daß er sie liebte und sein ganzer Weltschmerz, seine Rachephilosophie nichts anderes waren als ein Schutz vor seinen eigenen Gefühlen, denen er unterliegen würde, wenn er sie nicht unterdrückte. Nachdem sich erst einmal die Verzweiflung gelegt hatte, waren die Monate des Grübelns gekommen, und in diesem Stadium befand sich Walter Hertz immer noch, weil er sich scheute, die Wahrheit zu erkennen: die Liebe zu dem Mädchen Petra, die unter einem Weihnachtsbaum mit Sternen aus Stanniolpapier begonnen hatte.
Die Tür schwang auf, ehe Baumann etwas antworten konnte. Dr. Mainetti kam herein, ihr Gesicht war vor Aufregung leicht gerötet. Jetzt fliegt sie 'raus, dachte Baumann und empfand plötzlich Mitleid mit dem Mädchen, das bis zu den Fenstern zurückwich. Jetzt feuert sie die Mainetti in alter Stabsarztmanier hinaus. Und zwar so, daß sie nie wiederkommt. Baumann hielt den Atem an. Es war wie die Windstille vor einem Taifun.
»Gut, daß Sie da sind«,
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