Das geschenkte Gesicht
Famulus Baumann hatte ihm dafür einen Karton gegeben, einen amerikanischen Verpflegungskarton, auf dem groß ›Eggs‹ stand.
»Schreiben Sie uns oft«, sagte Dr. Mainetti und drückte Walter Hertz die Hände. »Professor Rusch läßt Ihnen alles Gute wünschen. Er operiert gerade.«
Hertz nickte. Seine Mundwinkel zuckten. »Frau Doktor«, stotterte er. »Frau Doktor – nun ist es schon der zweite Abschied. Ich werde Sie nie, nie vergessen.«
»Und zurückkommen wird er auch nicht wieder, das verspreche ich«, sagte Petra und legte den Arm um seine Schulter. »Nur als Patient oder Freund – aber nicht mehr wie bisher.«
Als Adam und Erich Schwabe aus dem Park zurückkamen auf Zimmer B/14, war das Bett von Walter Hertz abgedeckt, und eine Schwester stellte die Matratze hoch ans Fenster zum Lüften.
»Was soll denn das?« fragte Schwabe und stieß Adam in die Seite. »Ist der Walter Bettnässer geworden?«
»Herr Hertz ist entlassen«, sagte die Schwester. Sie kannte die Zusammenhänge nicht. Erich Schwabe blieb starr stehen.
»Entlassen? Was heißt denn das? Man kann doch den Hertz nicht entlassen. Da ist doch etwas faul.«
»Er ist abgeholt worden«, sagte die Schwester, nahm die Bettwäsche zusammen und verließ das Zimmer.
Erich Schwabe sah zu Fritz Adam hinüber, der ebenso verblüfft war wie er.
»Abgeholt?« sagte Schwabe leise. »Mein Gott, Fritz, den Fachausdruck kenne ich. Der wird doch wohl keinen Quatsch gemacht haben, der Walter? In letzter Zeit hat er immer so dusselig geredet, Himmel noch mal.«
Schwabe drehte sich um und rannte aus dem Zimmer.
»Wohin denn?« schrie Adam über den Flur.
»Zu Dr. Mainetti.«
»Ich komme mit.«
Zu zweit rannten sie die Treppe hinunter und stürzten, ohne anzuklopfen, in Lisas Zimmer. Dr. Mainetti saß am Schreibtisch und füllte einen Krankenbogen aus. Sie war nicht erstaunt, die beiden erhitzten, fragenden Gesichter zu sehen. Freundlich nickte sie ihnen zu.
»Walter Hertz?« sagte sie, ehe Adam oder Schwabe etwas fragen konnten. »Den hat eben seine Braut abgeholt und mitgenommen. Sie werden nächsten Monat heiraten.«
Erich Schwabe war es, als sei er mit Eiswasser überschüttet worden. Er schüttelte sich sogar, als müsse er die Tropfen von sich abschleudern. Dann senkte er den Kopf, drehte sich herum und sagte im Hinausgehen:
»Sie haben alle keinen Charakter, alle nicht. Alle nicht!«
Die Monate gingen dahin, das Leben normalisierte sich, es bildeten sich wieder Klassen: die einen, die nach wie vor anstanden, um eine Sonderzuteilung von irgend etwas zu erhaschen, die anderen, die sich plötzlich Häuser bauten und sich die Butter fingerdick aufs Brot schmierten. Der Beamtenapparat, das Knochengerüst jeglicher deutschen Gesundung, wurde wieder merkbar kerniger und härter. Parteien wurden gegründet und versprachen Dinge, die von jeher in Deutschland kaum möglich waren, wie etwa eine richtige Demokratie oder eine Ächtung aller Waffen und jeglichen Wehrgedankens. Ja sogar die Siegermächte wurden freundlich und betrachteten Old Germany nicht mehr als einen fauligen Termitenhaufen, sondern dachten: Es ist gut, wenn wir allesamt einmal scharf nach Osten blicken. Von dort scheint ein rauhes Lüfterl heranzuwehen, in dem die schöne Waffenbrüderschaft verrostet.
Aber noch immer zahlte man für eine Camel 6 Mark und ein Pfund Kaffee war auf 600 Mark geklettert. Die erste Vollversammlung der Vereinten Nationen war längst in London abgehalten worden, und das erste Njet des sowjetischen Delegierten hatte eine neue Ära der Politik in der Welt eröffnet. Und noch vieles geschah in diesen Monaten, was nicht die Gemüter erregte, sondern nur in einer ganz kleinen Welt zwischen hohen Mauern Bedeutung hatte: Im September heirateten Professor Dr. Rusch und Dr. Lisa Mainetti auf dem Standesamt in Bernegg, und Erich Schwabe als Schloßgärtner schmückte den Gemeinschaftssaal mit Blumen aus, in glühenden Farben und wunderbar gebundenen Arrangements. Famulus Baumann sprach das aus, was die Insassen der Klinik alle dachten: »Es ist schwer, sich jetzt umzugewöhnen. Für uns bleiben Sie immer die Lisa Mainetti.«
Fritz Adam machte in Heidelberg sein Physikum. Kaspar Bloch schrieb aus England, er studierte in Oxford. Walter Hertz berichtete knapp: »Petra bekommt ein Kind.« Und der Wastl schrieb mit ungelenken Buchstaben: »Ich habe eine Fremdenpension. Alle von Stube 14 können frei bei mir wohnen.«
Der einzige, der aus der Reihe brach, war der
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