Das geschenkte Gesicht
Schweiß weg. »Was hätten wir davon …?«
»Auf was wollen Sie hinaus?«
»Ich … ich …« Er würgte an den Worten, als ringe er mit dem letzten Rest einer inneren Anständigkeit. »Ich möchte Ihnen einen Tausch vorschlagen: Mein Schweigen gegen Morphium …«
»Sie sind ein Sauhund, Urban …«
»Die Sicherheit Ruschs muß Ihnen doch einige Ampullen wert sein.« Urbans Stimme wurde leise, fast kläglich. »Ich … ich lasse hier alles hochgehen, wenn ich kein Morphium bekomme! Und wenn Sie mich noch so sehr verachten … ich kann nichts dafür …«
Lisa Mainetti wandte sich brüsk ab. Es sah aus, als wolle sie ohne ein weiteres Wort gehen. In Wahrheit wog sie die Chancen ab. Sie kannte Dr. Urban gut genug, um zu wissen, daß er Professor Rusch und sie anzeigen würde. Keiner hätte eine Möglichkeit, ihn daran zu hindern. Es würde eine Kette von Untersuchungen, Verhaftungen, Klagen und Verhören geben, und sie wußte fast mit Sicherheit, daß Walter Rusch in dieser Maschinerie zermalmt werden würde. Dr. Mainetti sah Dr. Urban an. »Wieviel Ampullen wollen Sie?«
»Für einen Monat …«
»Unmöglich. Sollen wir die Verwundeten schreien lassen, nur damit Sie im siebten Himmel schweben? Ich gebe Ihnen zehn Ampullen!«
»Ist Ihnen Professor Rusch nicht mehr wert, Kollegin?«
»Nennen Sie mich nicht immer Kollegin!« schrie Lisa wütend. »Zehn Ampullen – und keine einzige mehr!«
»Und was dann?« Dr. Urban wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
»Wir haben 176 Gesichtsverletzte im Block … beobachten Sie sie fleißig, ob einer von ihnen etwas ausfrißt. Sie werden schon etwas finden, um mich zu erpressen.«
Dr. Urban senkte den Kopf. »Wann … wann darf ich kommen? Kol …« Er verschluckte den letzten Rest des Wortes.
»Von mir aus gleich. Nicht am Abend. Ich möchte wenigstens das Ende des Tages ohne Ihren Anblick genießen …«
»Gut. In zehn Minuten?«
»Von mir aus.«
»Vielleicht könnten Sie 15 Ampullen …«
»Zehn!« sagte Lisa Mainetti. »Und spritzen Sie sie sich auf einmal … Sie tun damit ein gutes Werk an uns allen.«
Ohne Antwort, mit schnellen Schritten, als flüchte er vor seiner Niederlage, rannte Dr. Urban dem Schloß zu.
Lisa Mainetti saß neben ihm, als Erich Schwabe aus seiner Besinnungslosigkeit erwachte. Sie waren allein im Zimmer. Die Stube B/14 hatte geschlossen Ausgang bekommen. Unter Führung eines Sanitätsfeldwebels waren sie ins Kino geführt worden, wo sie sich einen lustigen Film mit Marika Rökk ansahen. Lisa hatte es trotz vieler Bedenken mit großer Überredungskunst bei Professor Rusch durchgesetzt.
»Schwabe muß allein sein, wenn er aufwacht, und die anderen Jungs freuen sich wie die Kinder über den Kinobesuch. Es ist alles bestens organisiert: Ein Sanka bringt sie hin, und sie kommen ins Kino, auf die hintere Reihe, wenn der Saal schon dunkel ist. Am Schluß wird das Licht nicht eher angemacht, bis sie wieder draußen im Sanka sind. Es wird sie also niemand im Hellen sehen.«
»Auf deine Verantwortung.« Professor Rusch seufzte und lächelte dann. »Was könnte man dir abschlagen, Lisa? Aber eines ist klar: Offiziell weiß ich von nichts.«
Und so fuhr einer der Sanitätskraftwagen mit fünf leukoplastbepflasterten fröhlichen Soldaten in die nahe Stadt zum Kino. Dr. Lisa Mainetti aber setzte sich neben das Bett Schwabes, trug ihr Tagesjournal nach, schrieb einige OP-Berichte und wartete auf die kritische Sekunde, in der Schwabe die Augen aufschlug und merkte, daß er noch lebte.
»Warum habt ihr mich nicht sterben lassen …«, lallte Schwabe. Er lag mit gefalteten Händen und starrte in das schmale, braune Gesicht Lisas. »Es wäre doch alles so einfach gewesen …«
»Man stiehlt sich nicht weg aus dem Leben, mein Freund.« Dr. Mainetti träufelte Schwabe etwas Obstsaft in die Öffnung zwischen den breiten Leukoplaststreifen, die sein Gesicht nach der neuen Wundversorgung wieder bedeckten.
»Wenn ich gefallen wäre …«
»Sie sind aber nicht gefallen! Und hier ist nicht Rußland, sondern tiefstes deutsches Vaterland …«
»Daß gerade Sie das sagen, Frau Doktor …«
»Ich liebe mein Vaterland. Und Sie sollten zuerst Ihr Leben lieben und glücklich sein, die Vögel vor dem Fenster zu hören und das Knacken der Äste und das Pfeifen des Windes.«
»Ein Leben ohne Gesicht …«
»Aber ein Leben! Wenn Sie damals bei Suwalki …«
»Es wäre besser gewesen, Frau Doktor. Besser für uns alle.« Schwabe wurde unruhig. Seine Hände
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