Das geschenkte Gesicht
braucht ihre Zeit, um zu verheilen. Und jeder Körper reagiert anders auf Überpflanzungen.«
»Und so lange soll ich Erich nicht sehen?«
»Aber doch.« Dr. Mainetti stützte Ursula, als sie sich aufrichtete. »Sobald es geht, werden Sie ihn sehen und sprechen und mit ihm ausgehen. Vor allem eins müssen Sie ihm sein: seine Frau! Das ist das wichtigste überhaupt. Sie brauchen viel, viel Liebe, diese Verletzten. Nichts heilt so gründlich wie das Bewußtsein: Ich habe eine Frau, die mich trotzdem liebt. Ich bin ein Mensch geblieben!«
»Und wann kann ich ihn sehen?«
»Ich werde es Ihnen schreiben.« Dr. Mainetti half Ursula aufzustehn. »Und jetzt gehen wir erst einmal ins Haus, und ich schmiere Ihnen Salbe aufs Gesicht. Und dann müssen Sie Geduld haben. Viel, viel Geduld!«
Ursula Schwabe senkte den Kopf und nickte. »Aber warum darf sie ihn sehen, seine Mutter?«
»In einem solchen Unglück wird der stärkste Mann wieder zum Kind. Und nach wem ruft denn ein Kind, wenn es einmal in Not ist?«
Ursula Schwabe lehnte den Kopf an die Schulter Dr. Mainettis.
»Grüßen Sie Erich von mir«, weinte sie und bedeckte mit beiden Händen das Gesicht. »Sagen Sie ihm, daß ich ihn liebe … ganz gleich, wie er aussieht … sagen Sie ihm, daß ich warten werde, und wenn es Jahre dauert … Sagen Sie ihm, daß ich … daß ich …« Die Worte erstickten in Schluchzen. Sie drückte den Kopf an die Ärztin und ließ sich aus dem Zimmer führen wie ein hilfloses Kind.
Draußen wartete der Unteroffizier und kaute an der Unterlippe. »Wer war der Lump?« fragte er wütend, als Dr. Mainetti mit Ursula an ihm vorbeiging. »Ich brech' dem Schwein alle Knochen …«
»Ihr Männer habt immer nur eins in eurem hohlen Kopf!« schnauzte Dr. Mainetti. »Gehn Sie in Ihren Wachraum und halten Sie den Mund! Verstanden?«
»Jawoll!« brüllte der Unteroffizier und rannte mit rotem Kopf zurück in die Wachstube.
»Ich muß leider stören«, sagte Dr. Mainetti und zog die Tür hinter sich zu.
Auf dem Bett saßen Erich Schwabe und seine Mutter. Sie hielten sich an den Händen und waren glücklich. Eine riesige Mauer, die den Himmel vor Schwabe versperrt hatte, war eingerissen worden. Nun war es ihm, als säße er in der vollen Sonne. Es gibt eine Zukunft, dachte er immer wieder. Mutter hat es mir gesagt … es ist alles halb so schlimm. Sie war nicht entsetzt, sie hat sich nicht geekelt. Vielleicht war es ein falsches Bild, das ich im Spiegel des Wassers gesehen habe.
Ein verzerrtes Bild, so wie man es auf den Jahrmärkten in den Juxspiegeln der Lachkabinette sehen kann.
Es war eine Hoffnung und ein neuer Glaube, die ihn stark und mutig machten. »Das nächste Mal bringst du Ursula mit!« hatte er gerade gesagt, bevor Dr. Mainetti ins Zimmer trat. Und Frau Hedwig Schwabe hatte genickt, seine Hände gestreichelt und mit mühsam fester Stimme geantwortet: »Ganz bestimmt, mein Junge. Ursula wird sich wundern, warum du so ängstlich warst.« Und sie wußte genau, daß sie log, und daß Ursula nicht die Stärke haben würde, dieses Gesicht anzusehen oder gar zu küssen.
»Sie haben meinen Jungen gut gepflegt, Frau Doktor!« sagte Frau Schwabe und streichelte Erichs Hände. »Bestimmt hat er drei Pfund zugenommen. Ich bin froh, daß es ihm gut geht …«
Dr. Mainetti nickte. Sie blickte in die mit Leukoplast verpflasterte Fratze Schwabes und lächelte sogar.
»Und welche Angst er vor dem heutigen Tag gehabt hat!« sagte sie.
»Er ist eben doch immer noch ein dummer Junge.« Frau Schwabe erhob sich. Sie sah in dem Blick Dr. Mainettis, daß die Besuchszeit vorbei war. Und sie las auch daraus, daß die Ärztin mit Ursula gesprochen hatte.
»Willst du schon gehen?« sagte Erich Schwabe. Es war ein kehliges, kaum verständliches Röhren, aber Frau Schwabe verstand es, als spräche er mit wunderbarer, klarer Stimme.
»Ich komme ja wieder, mein Junge.« Sie strich mit den Fingern über sein blondes Haar und wuschelte es durcheinander. Die Haare sind ihm geblieben, dachte sie. Und wie widerborstig sie sind. Schon als kleiner Junge war es unmöglich, ihm einen vernünftigen Haarschnitt beizubringen. Wie ein Pinsel sah er immer aus. »Ich bleibe eine Woche in Bernegg, und jeden Tag komme ich dich eine Stunde besuchen … wenn es die Frau Doktor erlaubt …«
»Aber natürlich …«
Erich Schwabes Augen leuchteten. Es war für andere Menschen die einzige Möglichkeit, in diesem weggeschabten und verpflasterten Gesicht einen Ausdruck der
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