Das geschenkte Gesicht
über seine verbrannte und zerstörte Gesichtshälfte geklebt. Als er sich später im Spiegel anschaute, war es ein erträglicher Anblick. »Wie nach einer schweren Säbelpartie, Kommilitone!« sagte der Famulus zu dem Medizinstudenten Fritz Adam. »Deine Frau wird sich wundern, warum du überhaupt hier im Lazarett bist.«
In einer Ecke des Zimmers standen die Weihnachtsgeschenke, die die Verwundeten in den langen Wochen zuvor gebastelt hatten. Am Nachmittag sollte die Bescherung von Waisenkindern stattfinden. Die Parteileitung hatte es sich als einen großen Propagandaeffekt ausgedacht: Die vom Krieg Gezeichneten beschenken die durch den Krieg Verwaisten – eine Front der Herzen, die unbesiegbar war!
Die Verwundeten wußten es nicht. Sie hatten die Spielsachen in echter Freude gebaut, sie hatten gesägt und geklebt, gehämmert und gebohrt, weil es ihnen Spaß machte. Kleine Kunstwerke waren dabei entstanden, automatische Mühlen, Drehkräne und Feuerwehren. Schiffe, die qualmten, und Autos, deren Motor richtig brummte. Nur militärisches Spielzeug war nicht darunter. Kein Säbel und kein Panzer, keine Kanone und kein Schützengraben. Und kein Flugzeug. Es war, als würden die gestaltenden Finger steif, wenn man nur an die Möglichkeit eines solchen Spielzeugs dachte. Eine Planzeichnung zum Modellbau eines Bunkers mit Kanonen und Flaktürmen, die die Parteileitung vor einigen Wochen ins Lazarett gebracht hatte, fand sich zerrissen auf dem Lokus wieder. Dr. Urban stellte zwar strenge Untersuchungen an, aber sie liefen sich tot. Es gab 200 Verwundete im Block B, jeder konnte es gewesen sein. Daß es der Chefarzt, Professor Dr. Rusch, selbst getan hatte, daran dachte niemand.
Auch Erich Schwabe hatte etwas gebastelt. Er war gelernter Glaser; er hatte sich Glasscherben geben lassen und sie mit Ölfarbe in vielen Farben angestrichen. Aus diesen bunten Scherben hatte er ein Mosaik gefertigt: die Silhouetten zweier Menschen, die Hand in Hand der Sonne entgegengingen. Darunter hatte er geschrieben: Nur mit dir gibt es ein Morgen. Es war Erichs Geschenk für Ursula, Frau Schwabe sollte es mitnehmen nach Köln. Ursula selbst konnte – wie die Mutter geschrieben hatte – nicht mit nach Bernegg kommen, weil sie sehr erkältet sei und über 40 Grad Fieber habe. »Aber Ostern wird sie bestimmt mitkommen«, hatte Frau Schwabe noch geschrieben. »Täglich sind jetzt Luftangriffe, und es wird so viel geplündert, trotz der Todesstrafe. Da können wir den Keller nicht allein lassen. Nur einer von uns kann zu Dir kommen, mein Junge. Und Ostern wird es Uschi sein –«
Erich Schwabe sah es ein. Ostern werde ich wieder besser aussehen, dachte er. Mit jeder Woche geht es bergauf. Vielleicht ist es gut, daß Uschi mich jetzt nicht sieht, sondern erst zu Ostern, wenn ich wieder halbwegs hergestellt bin.
So hatte er sein Mosaik für seine Frau angefertigt, diesen rührenden Schrei nach Liebe. In Packpapier verpackt, lag es auf seinen Knien. Auch er wartete, bis er aufgerufen wurde. Obwohl er wußte, daß seine Mutter kam und sie ihn schon gesehen hatte, füllte ihn die Erregung bis obenhin aus. Sein Atem ging pfeifend durch die Mundhöhle.
Die Tür öffnete sich. Ein Sanitäter sah kurz herein und winkte den Aufspringenden zu.
»In zehn Minuten ist's soweit, Kameraden. Der Chef spricht noch. Zeit genug, nochmal pinkeln zu gehen.«
»Erzviech, saudummes!« schrie Wastl Feininger.
Fritz Adam legte sich zurück aufs Bett. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloß die Augen.
»Dieses Warten«, sagte er leise. »Dieses verdammte Warten. Ich wollte, es wäre schon Abend …«
Keiner antwortete ihm. Sie saßen auf den Betträndern und starrten vor sich auf den Boden.
Was wird sie sagen, dachte jeder, wird alles gut gehen? Oder wird sie mir nur ein Theater vorspielen und sich im Inneren ekeln? Vielleicht hat sie schon einen anderen Mann, einen schönen, gesunden Mann mit einem glatten, ebenmäßigen Gesicht? War es ihr zuzumuten, mit einer solchen Fratze zusammenzuleben? War es nicht besser, Schluß zu machen – jetzt, jetzt gleich?
Weihnachten – das Fest der Liebe …
»Auf mir wartet keener!« sagte der Berliner in die Stille des Zimmers hinein, »Kinder, wie ick mir darauf freue, alleene zu sein.«
Und alle um ihn herum beneideten ihn in diesem Augenblick.
Die Frauen und Mütter sahen auf, als sich die Tür des Saals öffnete und Professor Dr. Rusch in Begleitung von Dr. Lisa Mainetti und Dr. Urban hereinkam. Sie
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