Das geschenkte Gesicht
er gehässig. »Wie ich höre, ist er auch auf Ihrer Station. Wissen Sie eigentlich, was auf Wehrkraftzersetzung steht?«
Dr. Mainetti nickte. »Sicherlich weiß ich das. Ich weiß auch, was auf Diebstahl von Morphium aus der Lazarettapotheke steht.«
»Damit schrecken Sie mich nicht mehr, Kollega. Ich weiß, warum Sie den Strafsoldaten behalten. Unter dem Mantel des ärztlichen Gewissens leisten Sie passiven Widerstand gegen den Führer und den Endsieg!«
Lisa Mainetti schwieg. Sie sah Dr. Urban mit einem raschen kalten Blick an und verließ, wobei sie einen Bogen um ihn machte, den Verbandsraum. Durch die offene Tür sah ihr der Oberarzt nach, wie sie mit tropfenden Händen über den langen Flur zum Zimmer des Chefarztes ging.
Natürlich, dachte er. Jetzt sucht sie sich Rückendeckung. Alles eine Bande! Hochnäsig und sicher, daß wir den Krieg verlieren. An die Wand sollte man sie stellen!
Er blieb mit gesenktem Kopf im Behandlungszimmer stehen, während hinter ihm der Sanitäter die flachen Gipsschalen auswusch. Man trifft sie am besten, dachte Dr. Urban, wem man ihr ihre Lieblinge nimmt. In jedem Zimmer liegen welche herum, die man längst entlassen könnte und die sie festhält, um sie der Front zu entziehen. Nur eine Meldung brauchte man zu machen. Einen kleinen Schrieb: Seht euch mal das Lazarett Bernegg an. Dort liegen Kerle herum, die manche Frontlücke füllen könnten …
Ein schwerer Schlag würde es sein. Und dabei hätte man doch nichts getan als seine simple vaterländische Pflicht.
Die Stube B/14 hatte sich an den Anblick Erich Schwabes gewöhnt. So etwas geht schnell unter Männern, die alle das gleiche Leid tragen. Schon nach dem ersten Besuch seiner Mutter war Schwabe auch aufgeschlossener geworden; er saß jetzt öfter mit am Tisch und spielte Skat oder Schach oder mit dem ›Wastl-Pascha‹ eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht, die er immer gewann.
Die nach dem Weggang ihrer einstigen Attraktion, des Mannes mit der ›Frauenbrust‹ am Kinn, ihrer Berühmtheit beraubte Stube 14 hatte eine neue, wenn auch wesentlich stillere Sensation bekommen: Der Unteroffizier Kaspar Bloch war zu ihnen gekommen.
Bloch war ein hochaufgeschossener, schwarzhaariger Junge, dem ein Granatsplitter das rechte Jochbein zerschlagen und das Ohr abgesäbelt hatte. Seine rechte Gesichtshälfte sah aus, als sei sie unter einen Dampfhammer geraten. Seit über einem Jahr war er in Behandlung. Zuerst bei den Gesichtschirurgen, dann bei der Psychiatrie, zuletzt in der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke. Von dort war er zurückgekommen zu Professor Dr. Rusch und Dr. Lisa Mainetti, die sein Gesicht so weit wiederhergestellt hatten, daß man es ansehen konnte.
Nur taub war er geblieben, völlig gehörlos. Das war das große Rätsel, das ihn von einer Spezialabteilung in die andere führte. Daß er rechts nichts mehr hören konnte, leuchtete allen Spezialisten ein … aber wieso er auf dem linken Ohr gehörlos geworden war, dort, wo keinerlei Verletzungen vorlagen, konnte sich keiner erklären.
Dr. Urban, der bei der Rückkehr Kaspar Blochs die Krankenblätter durchlas, sprach das aus, was Dr. Mainetti seit langem im stillen dachte:
»Der Fall ist doch klar!« rief er und warf die Krankengeschichte Blochs auf den Tisch zurück. »Der Lümmel simuliert! Der kann so gut hören wie wir alle. Aber ich garantiere dafür, daß ich ihn überführe! Das wollen wir doch mal sehen!«
So kam Kaspar Bloch auf das Zimmer 14. Der Ruf, ein unangreifbarer Simulant zu sein, lief ihm voraus. Mit Spannung wartete die Stube 14 darauf, wie er sich benehmen würde, wenn der Wastl Feininger einen seiner knalligen Witze losließ. Bei nur einem halbwegs intakten Gehör war es einem unmöglich, nicht die Miene zu verziehen.
Kaspar Bloch bestand die Prüfung. Er saß am Tisch und spielte Schach, als der Wastl begann, ein Erlebnis aus der Sennhütte zu erzählen. Es wurde der deftigste Witz, den die Stube 14 je gehört hatte.
»So ein Saustück!« keuchte Paul Zwerch und hielt sich den Bauch. »Den muß ick vajessen, sonst träum' ick davon.«
Ruhig lächelnd saß Kaspar Bloch vor seinem Schachbrett und wartete geduldig, bis sich das Lachen seiner Kameraden gelegt hatte. Kein Muskel seines Gesichtes hatte sich verzogen, Fritz Adam hatte es genau beobachtet.
»Der hört wirklich nichts!« sagte er, als es wieder still im Zimmer wurde. »So kann sich kein Mensch beherrschen. Von wegen Simulant … das ist wieder so eine Mistigkeit
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