Das geschenkte Gesicht
oder den Ehemann zum erstenmal seit seiner Verwundung. Frau Dr. Mainetti hat mit jedem einzelnen von Ihnen gesprochen. Ich möchte Sie bitten, keinen Augenblick zu vergessen, was sie Ihnen gesagt hat: Seien Sie stark! Geben Sie alle Liebe her, auch wenn es Sie all Ihre Kraft kostet. Es ist Ihr Sohn, es ist Ihr Mann, der Ihnen gleich gegenüberstehen wird – und er ist hilfsbedürftiger als jedes Kind.« Professor Dr. Rusch senkte den Kopf. Seine Stimme wurde leise, aber bis in die letzten Reihen verstand man ihn. »Ich lege das Schicksal meiner Kameraden in Ihre mütterlichen Hände. Ich weiß, sie heilen mehr als mein chirurgisches Messer.«
Fast brüsk wandte er sich ab und verließ mit gesenktem Kopf das Zimmer.
Ein Sanitätsfeldwebel erschien in der Tür. Er hielt eine lange Liste in der Hand und baute sich im Zimmer auf. Dr. Urban sah auf die kleine Frau neben sich. Die Ansprache des Chefarztes hatte sie nicht sonderlich ergriffen. Sie weinte nicht, wie viele Frauen und Mütter um sie herum es taten. Mit schneller Zunge leckte sie nur ein paarmal über die geschminkten Lippen. Eine süße Schlange, dachte Dr. Urban. Zu wem mag diese Puppe wohl gehören?
Die Stimme des Feldwebels riß ihn aus seiner Betrachtung. Sie rief die Namen auf, und nacheinander entfernten sich die aufgerufenen Frauen.
»Berger – Zimmer 10
Wüllner – Zimmer 15
Eisenbarth – Zimmer 4
Gerhardt – Zimmer 20
Pollisch – Zimmer 1
Feininger – Zimmer 14
Schwabe – Zimmer 14
Adam – Zimmer 14 …«
Die kleine, kapriziöse, weißblonde Frau zupfte den Rock über ihre Knie und erhob sich. Sie raffte den Pelzmantel zusammen und sah Dr. Urban mit großen Kinderaugen an.
»Adam – das bin ich!« sagte sie mit heller Stimme.
Das ist eine Beleidigung der Natur! Dr. Urban verbeugte sich galant. »Sie sind Eva, gnädige Frau. Darf ich Sie zu Zimmer 14 bringen?«
»Gern, Herr Stabsarzt.«
Sie trippelte vor ihm her über den Flur bis zur Treppe. Adam, dachte Dr. Urban und musterte die schlanken Beine der Frau. Fritz Adam. Der Mann mit der zerstörten rechten Gesichtshälfte. Medizinstudent im 4. vorklinischen Semester. Ein netter Bursche an sich – aber was will eine so entzückende Frau mit einem Mann, der nur ein halbes Gesicht hat?
»Die Treppe hinauf!« sagte Dr. Urban und schaute den Beinen zu, die vor ihm die Stufen hinauftänzelten. Unter seiner Schädeldecke wurde ihm heiß, und er mußte schlucken, weil sich eine fatale Trockenheit in seinem Mund ausbreitete.
»Sie haben Ihren Mann schon gesehen?« fragte er und schob sich mit einem langen Schritt an ihre Seite.
»Nein. Es ist das erstemal.« Irene Adam blieb stehen. Ihre Kinderaugen waren kullerrund und dunkel vor Angst. »Sieht er … sieht er schlimm aus?«
»Wie man's nimmt.« Dr. Urban steckte die Hände in die Taschen seines weißen Arztmantels.
»Ich tue alles, was in meiner Kraft steht, um Ihren Mann wiederherzustellen. Vor allem jetzt, wo ich Sie kenne.«
»Sie operieren ihn?« Irene Adam sah bewundernd zu Dr. Urban auf. In ihren Augen flimmerte es. »Sie haben einen wunderbaren Beruf, Herr Stabsarzt.«
Dr. Urban schwieg. Er schluckte das Lob der kleinen Frau wie sonst sein Pervitin. Daß er nicht eine einzige Naht am Gesicht Fritz Adams gelegt hatte, spielte keine Rolle. Man sollte ihr sagen, daß ihr Mann nie wieder wie früher aussehen wird, dachte er einen Augenblick. Aber dann erschrak er vor seinen eigenen Gedanken und ging Frau Adam voraus zum Zimmer 14. Er öffnete die Tür und ließ sie allein eintreten. Er sah noch, wie Fritz Adam aufsprang und die kleine Frau wie erstarrt stehenblieb. Da schloß er schnell die Tür, trat an das Flurfenster und blickte hinaus auf den verschneiten Schloßpark.
Er fühlte in sich den unheimlichen Wunsch, daß Irene Adam sich nicht an die Verstümmelung ihres Mannes gewöhnen möge.
Er schämte sich nicht einmal, das zu denken.
Ich bin groß, gesund und stark, dachte er. So etwas braucht sie. Und er spürte, wie die Leidenschaft in ihm aufglühte und wie er sich ärgerte, daß die Tür des Zimmers 14 nicht aufsprang und Irene Adam nicht herausgerannt kam und rief: Ich kann ihn nicht sehen … ich kann nicht …!
Mit nervösen Fingern zündete sich Dr. Urban eine Zigarette an und wartete im Flur. Über eine Stunde lang ging er hin und her, bis ein Zittern durch seinen Körper flog. Da rannte er hinunter in sein Zimmer, riß aus dem Nachtschränkchen einen kleinen Kasten mit einer in Mull liegenden Spritze, zog
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