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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Recht der Überlebenden und Gesunden. Und daß auch Erich Schwabe eben ein Opfer des Krieges sei – der eine tot, der andere ein gesichtsloser Krüppel. Er wollte sagen, daß er Ursula heiraten würde, wenn sie sich nach dem Kriege scheiden ließe. Jawohl, er war ein Ehrenmann, und einem Kameraden weggenommen hätte er auch nichts, denn keiner könne verlangen …
    Aber er sagte nichts. Er sah nur die starren Augen der alten Frau und wußte, daß es hier keine Entschuldigungen gab.
    »Mögen Sie beide den Krieg überleben«, sagte er.
    Er drehte sich um und ging langsam die Kellertreppe hinauf. Frau Schwabe blickte ihm nach, die Erstarrung löste sich, als sie seinen Rücken sah.
    »Ihre Kartoffeln!« schrie sie, mit sich fast überschlagender Stimme. »Wir brauchen Ihre Kartoffeln nicht!«
    Karlheinz Petsch drehte sich noch einmal um. »Was soll ich mit denen im Flugzeug? Eßt sie … sie reichen bis zum Frieden.«
    Dann verlor sich sein Schritt oben auf der Treppe und in den Trümmerhalden des zerbombten Hauses.
    Frau Schwabe ging mit steifen Beinen zur Tür, schloß sie, schob den Riegel vor, ging zurück zum Bett, nahm das Glasmosaik von Ursulas Rücken und stellte es wieder hinter die blakende Kerze. Dann griff sie nach den Seidenstrümpfen, und fast mechanisch zerriß sie erst den einen Strumpf und dann den anderen, öffnete mit der Schuhspitze die Klappe des runden Eisenofens und warf die zerfetzten Strümpfe ins Feuer. Mit beiden Händen faßte sie die verschnürte Öffnung des Kartoffelsacks, schleppte keuchend die Zentnerlast in die hintere Kellerecke und drückte dann die Kartoffeln etwas höher, damit sie nicht soviel Platz wegnahmen.
    Dabei sprach sie kein Wort, und auch als sie sich hinsetzte und verbissen ihre Reisetasche auspackte, war es, als sei sie ganz allein im Raum.
    »Mutter …«, sagte Ursula leise. Es war wie der winselnde Laut eines getretenen Hundes.
    »Ja.«
    »Mutter …«
    »Ich werde gleich einkaufen gehen. Was ist auf den Karten aufgerufen?«
    Ursula hatte sich aufgerichtet. Sie zog sich an dem Bettpfosten hoch und legte die Hände flach gegen ihre Schläfen.
    »Ich packe sofort. Und ich gehe auch gleich. Ich … ich will mich nicht verteidigen … Ich kann es nicht. In zehn Minuten bin ich weg.«
    Frau Schwabe hob den Kopf. Sie hielt die Lebensmittelkarten in der Hand und hatte im Mitteilungsblatt nachgesehen, welche Abschnitte aufgerufen waren.
    »Auf B 6 gibt es für Neujahr 50 Gramm Butter Sonderzuteilung. Wenn ich deine Raucherkarte dazunehme, kann ich ein ganzes halbes Pfund eintauschen.«
    »Ich habe es allein nicht ausgehalten!« schrie Ursula. »Ich habe nichts gesehen als aufgerissene Köpfe. Ich … ich bin doch keine Hure, Mutter!«
    Frau Schwabe streckte die Hand aus. Sie ergriff Ursula an der Schürze, ihre Finger krallten sich wie Eisenklammern in den Stoff und zogen die junge Frau zu sich heran. Willenlos folgte Ursula dem harten Zug. Jetzt wird sie mich schlagen, dachte sie. Ins Gesicht schlagen, und anspucken wird sie mich. Sie hat ja recht. Ich habe Erich verraten, ich habe ihn betrogen. Und er schenkt mir ein gläsernes Bild … Nur mit dir gibt es ein Morgen …
    »Ich habe nichts gesehen und gehört«, sagte die alte Frau Schwabe streng. Ihre Finger rissen an dem Schürzenstoff. »Ich bin nach Hause gekommen, und du hast gerade das Zimmer geputzt, und die Kartoffeln standen dort in der Ecke, gegen deine goldene Armbanduhr hast du sie eingetauscht, nicht wahr …«
    »Mutter …«, stammelte Ursula.
    »… und über Erichs Bild hast du dich sehr gefreut. Kaum erwarten konntest du es. Viel zu lange dauerte das Auspacken. Und dann hast du es auf deinen Nachttisch gestellt und gesagt: Ja, Erich, ich werde auf dich warten, ganz gleich, was kommen wird. Ich werde dich lieben wie bisher und dir treu bleiben, und wenn es Jahre dauert … Das wirst du ihm nachher schreiben, nicht wahr?«
    In Ursula brach alle Kraft zusammen. Sie fiel auf die Knie und vergrub ihren Kopf in den Schoß der alten Frau.
    »Ich habe es nicht gewollt, Mutter«, wimmerte sie. Frau Schwabe nickte mehrmals. In ihren grauen Augen stand jetzt bittere Selbstanklage.
    »Ich war zu egoistisch«, sagte sie stockend. »Ja, vielleicht war ich das. Ich hätte dich mitnehmen sollen, trotz allem …« Und plötzlich umfaßte sie Ursulas Körper und drückte ihn fest an sich. »Ich wollte ihn allein haben. Ich wollte zu Weihnachten meinen armen Jungen allein haben. Es war gemein von mir, Uschi, ich weiß

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