Das geschenkte Gesicht
Gott wäre, Schwabe, würde ich Ihnen mit der Hand bloß über das Gesicht streichen und sagen: Sei Erich Schwabe. Und Sie sähen wieder aus wie früher. Aber ich bin nur ein Mensch wie Sie. Uns gibt Gott nur die Möglichkeit, Ähnlichkeit zu schaffen.«
Am Abend kehrte auch Dr. Urban ins Lazarett zurück. Er war mißgelaunt und schnauzte schon auf den Treppen die Verwundeten an, weil sie nicht zackig genug grüßten.
»Solange ihr noch einen Arm habt, gehört der zum Gruß nach oben!« brüllte er. »Zurück marsch marsch – noch mal 'rankommen und grüßen!«
Nach viermaligem Herumjagen wurde es ihm langweilig, und er verschwand in seinem Zimmer. Er zog sich um und visitierte dann seine Station. Die im Bunker Versteckten lagen wieder in ihren Betten und spritzten hoch, als Urban mit wehendem Mantel erschien.
»Da sind ja unsere Helden!« schrie er. »Deutsche Männer wollen das sein und verkriechen sich unter der Erde!« Er stellte sich in die Mitte des Zimmers und stemmte die Hände in die Seiten. »Aber so einfach ist das nicht, sich von dem Dienst an Führer und Vaterland zu drücken, meine Herrschaften. Einigen von euch wird noch das dämliche Grinsen vergehen! Und wenn ihr glaubt, Silvester könntet ihr euch vollsaufen, dann habt ihr in die eigenen Hosen geschissen! Meier. Rumbold. Senkblei. Schmitz III.«
»Hier – hier – hier – hier!« brüllten die Aufgerufenen und traten zwei Schritte vor ihr Bett. In ihren Augen stand Angst.
»Ihr werdet morgen drangenommen! Ihr wollt doch schnell wieder schön werden, was?«
Dr. Urban sah die bleichen Gesichter und lächelte breit. Dann stampfte er wieder hinaus, um sich bei Chefarzt Professor Rusch dienstlich zurückzumelden und seinen Operationsplan für morgen vorzulegen.
Es war der letzte Operationstag im alten Jahr. Über Silvester und Neujahr blieb nur ein Notdienst bereit für Frontzugänge und Komplikationen. Dr. Urban hatte die meisten Vorschläge, Lisa Mainetti meldete keine Operation, von den anderen Stationen kamen zwei Meldungen.
»Warum so viele?« fragte Rusch und las die Krankengeschichten durch.
»Damit sie Neujahr im Bett liegen müssen. Die Rache des helfenden Arztes«, sagte Dr. Mainetti. Dr. Urban zog die Augenbrauen hoch.
»Ich halte diese Operationen für notwendig. Die Wiederherstellung der Funktionen ist doch nicht abhängig von Feiertagen oder Jahreswechseln.«
»Gut!« Professor Rusch zeichnete die Vorschläge ab. »Ich werde alle Fälle selbst übernehmen. Sie und Dr. Mainetti assistieren, sowie die Herren Plugge und Vohrer.«
Dr. Urban nahm seine Krankengeschichten von Professor Rusch zurück, klemmte sie unter den Arm und verließ das Chefzimmer. Kopfschüttelnd setzte sich Rusch.
»Er ist so still und wenig kampflustig. Ist er krank?«
»Nein, in der Klemme.« Dr. Mainetti zündete sich eine Zigarette an. Es war selten, daß sie rauchte, aber manchmal hatte sie einen plötzlichen Heißhunger auf eine Zigarette. »Diese kleine Hure Irene Adam rief gegen Mittag an. Sie besteht darauf, daß sich ihr Mann von sich aus scheiden läßt. Anscheinend will sie Urban zwingen, sie zu heiraten.« Lisa sah einer bizarr verschlungenen Rauchfahne nach, die durch das Zimmer schwebte. »Wenn ich daran denke, könnte ich sogar Mitleid mit ihm haben. Das hat er denn beinahe doch nicht verdient.«
»Du scheinst auch mir die Ehe nicht zu gönnen«, sagte Rusch leise.
Dr. Mainetti zerdrückte die kaum angerauchte Zigarette.
»Manchmal bist du wie ein kleiner Junge, der nach seinem Teddybären schreit.«
»Er schreit, weil er etwas im Arm haben will.«
»Oder aus Trotz.« Lisa strich leicht über das graumelierte Haar Ruschs. »Wir haben doch andere Sorgen, Walter. Und viele werden noch dazukommen.«
Der Operationstag begann wie alle OP-Tage mit der Klage der Oberschwester, daß alles, was man brauchte, nicht genügend vorhanden sei. Zu wenig Binden, zu wenig Zellstoff, zu wenig Medikamente. In der Lazarettwäscherei wurden die gebrauchten Verbände so lange gewaschen, bis sie wie Spinnweben beim Aufwickeln zerrissen. Die Papierbinden, die als Ersatz geliefert wurden, riefen bei Professor Rusch Tobsuchtsanfälle hervor. »Soll ich meine Verwundeten mit Lokusrollen verbinden?« schrie er den unschuldigen Apotheker an, der die Papierbinden brachte. »Dann machen wir es doch gleich einfacher und legen die neuesten Nummern vom ›Reich‹ auf die Gesichter. Vielleicht heilen Goebbels' Worte besser!«
Auch an diesem Tag wurde jeder einzelne
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