Das geschenkte Gesicht
Verband gezählt. Der Stabsintendant in der Lazarettverwaltung hatte zur strengsten Sparsamkeit gemahnt. Famulus Baumann brachte den Kasten mit den SEE-Präparaten, dem Scopolamin, Eukodal und Ephedrin. Er mußte über jede entnommene Ampulle Buch führen.
An den Waschbecken standen Dr. Mainetti und Dr. Urban und bürsteten sich die Hände. Sie hatten die Kopfhauben schon auf und trugen über den nackten Füßen die weißen Gummischuhe. Stumm seiften sie Hände und Unterarme ein und schrubbten sie mit den Bürsten. Professor Rusch war noch nicht gekommen. Er führte ein Telefongespräch mit Oberst Mayrat. Die Dienststelle des Generals v. Unruh verzichtete auf einen Bericht aus Bernegg. Er war gegenstandslos geworden. Die Aktion ›Heldenklau‹ betraf nicht die Gesichtsverletztenlazarette. Es war ein Mißgriff gewesen, eine bedauerliche falsche Auslegung des Befehls. Rusch meinte die Hand seines Doktorvaters, des Generalarztes Professor Gilgen, dahinter zu sehen. Oberst Mayrat entschuldigte sich förmlich und steif. Es war zu hören, wie schwer es ihm wurde.
Im OP I wurde der erste Patient vorgeführt. Es war der Obergefreite Rumbold, 32 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, Bergmann aus Gelsenkirchen, verwundet in Rußland, August 1944. Kieferzertrümmerung mit großen Weichteilverlusten. Nach zwölf Operationen war er so weit hergestellt, daß es nur noch einiger kleinerer Knochentransplantationen bedurfte, um dann an die endgültige plastische Gestaltung des in den Grundlagen wiederhergestellten Gesichts zu gehen.
Dr. Mainetti sah von dem Waschbecken auf, als Rumbold in den OP trat. Er kam zögernd, ängstlich, fast schob ihn der Sanitäter in den Raum, wie ein Lamm, das den Schlachthof riecht und sich dagegen stemmt. Er starrte auf den Rücken Dr. Urbans und blieb zwei Schritte neben der Tür stehen. Sein Gesicht war wie eingesunken, spitz stach die Nase daraus hervor, kalter Schweiß tropfte von der Stirn und sammelte sich an den Augen, die tief in den Höhlen lagen, als habe man sie in den Kopf zurückgedrückt.
Dr. Lisa Mainetti ließ das Wasser über die gebürsteten Hände und Arme laufen und zog dann die Hände zurück.
»Wer ist denn das?« fragte sie. Dr. Urban drehte den Kopf zur Seite.
»Nummer eins, Kollega! Knochentransplantation.«
Lisa trat vom Waschbecken weg. Rumbold sah sie wie ein Hund bettelnd an. Wie ein Totenschädel war sein Gesicht.
»Was ist denn mit dem Mann los?« fragte Dr. Mainetti noch mal. »Wieso wird er operiert?« Sie wandte sich zurück zu Dr. Urban und sagte leiser, damit es Rumbold nicht hörte: »Das geht doch schief, Urban. Der Mann hat ja eine Facies hippocratica.«
Dr. Urban wandte wieder den Kopf und sah Rumbold ärgerlich an. »Blödsinn!« sagte er laut. »Der hat nie anders ausgesehen. Außerdem hat er die Hosen voll. Das ist alles.«
»Wissen Sie denn überhaupt, was eine Facies hippocratica ist?« fragte Lisa scharf.
»Nein.« Dr. Urban spülte die Hände ab. »Interessiert mich auch nicht. Der Mann hat nie anders dreingeschaut. Kann nicht jeder eine Schönheit wie der Chef sein.«
Lisa überhörte die Anspielung. Sie nahm die Haube von den Haaren und warf sie auf einen Tisch. »Ich gehe zum Chef, Herr Urban!« sagte sie. »Ich will, daß die Operation abgesetzt wird!«
Dr. Urban hielt sie am Ärmel des OP-Mantel fest.
»Was für ein Unsinn!« sagte er leise. »Liebe Lisa, Sie können mich als Menschen mißachten und meinetwegen auch versuchen, mich fertigzumachen. Aber als Arzt lasse ich mir das nicht bieten! Hier ist die Grenze! Genügt es Ihnen, wenn ich versichere, daß der Patient nie anders ausgesehen hat? Nur weil Sie gefühlsmäßig schwarzsehen, wollen Sie einen Tagesplan über den Haufen werfen? Wollen Sie mich vor dem Chef als Idioten hinstellen? Ich warne Sie, Lisa!«
Dr. Mainetti sah noch einmal hinüber zu dem bleichen Rumbold. Der Famulus Baumann bereitete ihn zur Operation vor. Er wurde ausgezogen und nackt auf den OP-Tisch gelegt. Aus der Hüfte wollte man einen Knochenspan meißeln und ihn in den Kiefer transplantieren.
»Gut!« sagte Lisa widerwillig. »Ich kann mich irren! Glauben Sie mir, Urban, daß ich alles tun würde, diese Operation zu verhindern, wenn ich völlig sicher wäre. Ich würde mich einen Dreck darum kümmern, ob ich Sie als Arzt bloßstelle! Das wissen Sie!«
Dr. Urban räusperte sich. Baumann und Dr. Vohrer sahen zu ihnen hinüber.
»Ich werde Ihnen nicht die Gelegenheit geben, mich völlig in die Hand zu
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