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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf die Augen. »Ich habe doch auch noch zwei gesunde Arme. Das müßte doch reichen.«
    So langsam die Zeit bisher weggetropft war, unendlich gedehnt durch das ständige Warten auf eine neue Operation, auf ein neues kleines Stückchen menschlichen Gesichts, so stürmisch jagten jetzt die Tage und Wochen dahin. Die Fronten in Ost und West waren in Bewegung geraten. Nur ging es nicht vorwärts, sondern hinein nach Deutschland. Britische Truppen hatten Kleve besetzt und den Rhein nördlich Kalkar erreicht. Amerikanische Divisionen hatten Prüm gestürmt und setzten an der Rur zum Großangriff an. Venlo, Neuß und Mönchen-Gladbach fielen. Aus verschiedenen Richtungen zogen die Panzerspitzen auf Köln zu. Die ›Operation Lumberjack‹ hatte begonnen. Im Osten hatten die Divisionen der Roten Armee Tilsit, Allenstein und Memel überrannt, drangen durch das Weichseltal vor und schnitten Ostpreußen ab. Die gesamte deutsche 4. Armee saß wie eine Maus in der Falle, ihr Durchbruch zum Westen, mit Tausenden von Frauen, Kindern und Greisen im Gefolge, zerbrach im Feuer russischer Panzer und Geschütze. Dresden wurde bis zur Unkenntlichkeit bombardiert, Posen und Graudenz gingen verloren. Und immer weiter spülte die Rote Welle nach Deutschland hinein, über Niederschlesien, wo Breslau zu einer einsamen Insel wurde, über Ober- und Mittelschlesien, über Danzig und Pommern. Die Apokalypse schien Wirklichkeit zu werden: »Es ward ein Hagel und Feuer mit Blut gemengt und fiel auf die Erde, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte … Und der dritte Teil des Meeres ward Blut … weh, weh, weh denen, die auf Erden wohnen …«
    Jeden Abend saßen in Bernegg die Verwundeten um die Rundfunkgeräte und hörten die Nachrichten. Erst den deutschen Wehrmachtsbericht. Dann, etwas leiser, Luxemburg und einen amerikanischen Soldatensender in deutscher Sprache. Die Todesstrafe stand darauf, aber sogar Dr. Urban saß vor seinem Volksempfänger und verglich auf einer Karte die Truppenbewegungen, die Radio Luxemburg durchgab, mit denen des deutschen Wehrmachtsberichts.
    »Scheiße!« sagte der Wastl Feininger, als die Meldung durchkam, die Amerikaner rückten auf Köln zu. »Mist is dös mit dem Besuch von deiner Ursula, Erich!«
    Erich Schwabe hatte sich einen alten Schulatlas aus der Lazarettbücherei geholt. Er hatte Glück, denn kurz danach kamen vierundzwanzig Mann, die eine Landkarte verlangten. Es war ein beliebtes Spiel auf den Zimmern geworden, Wetten über die nächsten Eroberungen der Amerikaner und Russen abzuschließen.
    Auch der Berliner war still geworden. Er sah auf der Karte den dicken Stoßkeil der Roten Armee auf Berlin, durch Pommern, durch die Mark, über die Oder. Seine Mutter war noch in Berlin.
    Sie arbeitete im Kriegseinsatz bei Borsig. Oder ob sie schon geflüchtet war, zu Tante Anna, ihrer Schwester in Husum?
    Erich Schwabe lauschte auf die Worte der breiten, gequetschten Stimme, die jetzt deutsche Nachrichten sprach. Der amerikanische Soldatensender.
    »Uir sehen schon die Türme des Kölner Doms. Unsere Panzer stehen bereit. Uir grüßen die deutsche Bevölkerung. Uir kommen als Freunde.«
    Schwabe sah auf den Kalender, der über seinem Bett an der Wand hing.
    5. März 1945.
    Jetzt hocken sie im Keller und zittern vor Angst, dachte er. Die Amerikaner schießen nach Köln hinein, die Rheinbrücken sind gesprengt. Es gibt keinen Weg mehr nach Bernegg. Jetzt kann es Monate dauern, bis ich sie wiedersehe.
    Ob ich sie überhaupt jemals wiedersehe?
    Der Berliner drehte das Radio ab. »Da sitzt man 'rum und kann nich mal helfen!« sagte er aufgewühlt.
    »Mit deiner Fresse?« Der Wastl Feininger suchte seinen Heimatort Berchtesgaden auf der Karte. Nicht mehr lange, und seine kropferte Resi würde Neger und Indianer und Cowboys aus Texas bedienen, so dachte der Feininger. »Willst sie erschrecken, was? Buh-buh. Das Kriegsgespenst.«
    »'rausholen will ick meine Mutta!« schrie der Berliner. »Jloobste, det die Iwans se schonen? Ob Kind oder Jreisin – det is denen doch schnuppe!«
    »Bedank dich beim Führer!« Der Wastl Feininger stützte den Kopf mit dem mächtigen wulstartigen Rollappen in beide Hände. »Sakra, wos mach' i, wenn 's Reserl an Negerbuam kriagt?«
    Dr. Urban verfolgte die Truppenbewegungen mit exakten roten und blauen Linien, die er auf seiner Karte einzeichnete. Als die Amerikaner vor Köln aufmarschierten und die Rote Armee gegen Danzig vorstieß, packte er einen

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