Das geschenkte Gesicht
Packung Braddocks. »Ihr General Eisenhower hat das ›No fraternisation‹ verkündet, und Sie sitzen hier wie ein guter Freund.«
»Das ist meine Privatsache.« James Braddock trank wieder. »Die unangenehme Seite meines Dienstes hat damit nichts zu tun. Ich muß Ihnen zum Beispiel ankündigen, daß ab sofort nur noch 700 Kalorien pro Mann und Tag zugeteilt werden können! Deutsche Bestände sind nicht mehr da. Wir müssen diese 700 Kalorien also von unseren Truppenkontingenten abzweigen. Es muß genügen!«
»Wäre es nicht besser, einige hundert Ampullen Morphium zu liefern? Wir könnten dann unsere Verwundeten schneller erlösen als durch einen langwierigen Hungertod!« sagte Lisa Mainetti. Sie stellte das Whiskyglas hart auf den Tisch und zerdrückte ihre Zigarette.
Braddock verstand die Demonstration. Er erhob sich abrupt. »Machen Sie bitte Herrn Hitler dafür verantwortlich. Wir haben die Aufgabe, Deutschland zu erobern, nicht, es zu ernähren!«
Er steckte seine Whiskyflasche wieder ein und trank sein Glas aus. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
»Ich habe die Personalakten dieses Dr. Urban heraussuchen lassen. Ich bin informiert.« Er schüttelte den Kopf, als stehe er vor einem Rätsel. »Euch Deutsche soll einer verstehen. Ihr putzt die Schweine noch, die euch den Stall verdrecken.«
Die 700 Kalorien wirkten sich bald aus.
Dünne Suppen, ein Kleckschen Margarine, ein paar amerikanische Kekse, ein Büchschen Schinken mit Ei, ein Würfelchen Preßtee, ein flaches Stanniolmäppchen Nescafé, eine Stange aus getrockneten Früchten und ab und zu eine Kelle voll rosafarbener Rosinensuppe aus Trockenmilch – das war die Ernährung.
Es gab keine Post mehr. Irgendwo mußte sie sich stapeln, vielleicht verbrannte man sie auch, weil sie nur den Transport wichtigerer Güter belastete. Vor allem Walter Hertz wartete auf ein Lebenszeichen von Petra. Bei dem Zusammenbruch Deutschlands mußte auch der Fabrikant Wolfach hinweggefegt worden sein. Und mit ihm Petra. In langen vergangenen Wochen war es Walter Hertz klargeworden, daß er falsch an dem Mädchen gehandelt hatte. Es war im Grunde so einsam gewesen wie er, in eine Welt gestellt, die ihrem Wesen zuwider war und die sie ertragen mußte, weil der Mittelpunkt dieser Welt ihr eigener Vater war. Nun war das alles zusammengebrochen, und irgendwo mochte sie jetzt sein, ausgestoßen ohne Hoffnung.
Aber schlimmer als alle seelischen Qualen waren die 700 Kalorien.
Der Wastl Feininger fiel vom Fleisch und schreckte nachts mit einem Aufschrei hoch, weil er von Weißwürsten, G'selchtem und einer Haxe mit Kraut träumte. Er war es auch, der eine glorreiche Idee gebar und dem Spruch Wahrheit verlieh: Ein Genie muß hungrig sein.
Er führte seine Idee im Alleingang aus, sich bewußt, daß die anderen ihn für blöd halten würden. Mit einer Bettpfanne in der Hand, als habe man ihn zur Unterstützung gerufen, pilgerte er zu den drei ausgeräumten Zimmern, in denen die drei amerikanischen Gesichtsverletzten allein lagen. Neben Dr. Red Stenton kümmerte sich noch Dora Graff und natürlich Dr. Mainetti um sie.
Feininger hatte Glück. Im ersten Zimmer war niemand. Der amerikanische Soldat lag allein. Man hatte ihm die Trachealkanüle wieder entfernt und den Luftröhrenschnitt vernäht. Er atmete wieder durch den Mund und durch zwei Plastikröhrchen, die seine Nasenlöcher offenhielten. Bei jedem Atemzug rasselte und pfiff es.
»Bye-bye!« sagte der Wastl und setzte sich an das Bett. Er hatte dieses Wort von den Negern aufgeschnappt und glaubte irrtümlich, daß es eine Begrüßung sei. Der amerikanische Verwundete nickte schwach. Er hatte helle, blaue Augen und kurzgeschorene, blonde Haare, die jetzt wie Stoppeln den Kopf überwucherten.
»Langweilig, was?« fragte der Wastl. Er stellte die Bettpfanne auf den Boden, um sie als Alibi sofort hochzureißen, wenn jemand das Zimmer betreten sollte. Ich setz' ihn sogar drauf, ob er will oder nicht. Sagen kann er ja nichts, dachte er.
Da kann gar nichts passieren.
»Nix Lust?« fragte er und machte vor den Augen des Amerikaners die Bewegung von Kartenmischen und Aufspielen. »Skat! 17 und 4! Mauscheln! Herzblättchen! 66! Doppelkopp! Sakrament, kennt's ihr koa G'spül?«
Der amerikanische Gesichtsverletzte schien zu verstehen. Er hob die Hände und zuckte mit den Schultern. Wastl Feininger atmete auf. Er nahm den Block Papier, auf dem der Verletzte seine Wünsche aufschrieb, und malte in dicken, klobigen
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