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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Buchstaben:
    »Nr. B/14.«
    Er reichte das Blatt hin und tippte auf die Zahl.
    »Dös bin i!« sagte er. »I!« Er zeigte auf sich. Dann bückte er sich, nahm die Bettpfanne und nickte dem Amerikaner zu. »Bye-bye!« sagte er wieder freundlich grinsend und verließ zufrieden das Zimmer.
    Der Erfolg war verblüffend. Er stürzte Dr. Stenton in einen Gewissenskonflikt, der ihn zwang, bei Major Braddock anzurufen. Braddock kam sofort hinauf zum Schloß.
    »Wem gehört diese Schrift?« fragte er und zeigte das Blatt Papier mit der Zahl B/14 zuerst Professor Rusch, dann Dr. Mainetti. »Der Kerl, der das geschrieben hat, bringt meine Verwundeten durcheinander. Sergeant Rondey verlangt – und er ist nicht davon abzubringen – auf Zimmer B/14 verlegt zu werden. Er tobt, weil er nicht mehr allein sein will.«
    Dr. Mainetti gab Braddock den Zettel zurück. »Für Verletzte, wie unsere Fälle es sind, ist es immer eine große psychologische Hilfe, in der Gemeinschaft mit Gleichleidenden zu leben. Einzelzimmer fordern zu sehr zum Nachdenken heraus und verstärken nur noch das Gefühl, ausgestoßen zu sein.«
    »Das leuchtet ein!« Braddock rannte erregt hin und her. »Aber es ist unmöglich! Ein Sergeant der US Army auf einem Zimmer mit deutschen POWs! Das ist völlig ausgeschlossen! Wenn das bekannt würde!«
    »Aus diesem Hause sind noch nie Geheimnisse getragen worden, Major. Es ist eine Welt für sich – die abgeschlossene Welt der Gesichtslosen. Hier gelten ganz andere Gesetze als draußen, viel bessere.«
    Major James Braddock steckte die Hände in die Hosentaschen. »Wer hat diesen Zettel geschrieben?«
    »Das wird sich nie feststellen lassen«, sagte Professor Rusch.
    »Schweinerei!« Braddock blieb vor Rusch stehen. »Was soll ich tun?«
    »Legen Sie Ihren Sergeanten Rondey auf Zimmer 14.«
    »Diesen billigen Rat konnte ich mir selbst geben!«
    Wütend rannte Braddock hinaus. Zwei Stunden verhandelten Braddock, Leutnant Potkins und Dr. Stenton mit dem Verwundeten. Es wurden Seiten vollgeschrieben und harte Worte gebrüllt. Sergeant Rondey wollte weg. Heraus aus der Einsamkeit. Er wollte Karten spielen.
    »Ich liebe die Deutschen nicht«, schrieb er auf seinen Block, »aber es sind Menschen.«
    Endlich gab Braddock seufzend nach, nachdem er durch Handschlag Leutnant Potkins und Dr. Stenton zum Schweigen verpflichtet hatte.
    Am Abend fuhr man Rondey durch die Tür des Zimmers 14. Sein Bett war aufgeschlagen, die Insassen der Stube 14 hockten auf ihren Stühlen – es war ein ebenso feierlicher Augenblick wie bei der Überreichung eines Weihnachtsgeschenkes.
    »Bye-bye!« sagte der Wastl wieder, als Rondey in seinem Bett lag und mit einem Winken und einem glücklichen Leuchten seiner hellen, blauen Augen die deutschen Gesichtsverletzten begrüßte. »Die Kuh ist da.«
    »Wieso Kuh?« fragte der Berliner.
    »Ja, seid's ihr denn blöd! In vier Wochen frißt er wieder. Aber sovüll, wie der kriagt, kann er gor net fressen! Und wos übrigbleibt, bleibt, ihr Deppen – a Melkkuh is der doch, ihr Deppen, ihr damischen!«
    Die Männer der Stube 14 schwiegen andächtig und sahen zu Sergeant Rondey hinüber. Ein herrliches Ei war ihnen ins Nest gelegt worden. Wenn es ausschlüpfte, hatten alle etwas davon. Es gab zu essen, es gab zu rauchen, es gab Pakete aus Amerika, und es gab etwas, was den Berliner und den Wastl vom Stuhl riß, als sie es beim Auspacken aus dem Kleidersack Rondeys zogen: eine Kollektion Fotos nackter Frauen.
    »Sakrakruzidonnerwetter!« brüllte der Wastl. »Jetzt san 700 Kalorien noch zuvüll!«
    Der Selbstmord Hitlers, die Eroberung der letzten deutschen Städte, wen kümmerte es noch auf Schloß Bernegg. Nur als Berlin von der Roten Armee überflutet wurde, saß der Berliner auf seinem Bett in der Ecke und weinte. Man verstand diesen Schmerz, niemand redete ihm zu oder versuchte, ihn zu trösten, weil es sinnlos war. Allein saß er da, mit dem Gesicht zur Wand, und schluchzte. Auch Sergeant Rondey schien zu wissen, was diese Stunde im Leben dieses Mannes bedeutete. Er winkte Fritz Adam zu sich, kramte in seinem Brotbeutel herum und holte eine Büchse Erdbeermarmelade heraus. Er zeigte auf den Berliner und gab die Büchse Adam. Leise, als störe er damit, legte Adam die Marmeladendose neben den Berliner auf das Bett. Der sah es nicht. Mit geschlossenen Augen hockte er auf der Bettkante, ein kleiner, armer Mensch, dem man nun alles genommen hatte: die Heimat, die Mutter – und sein Gesicht.
    Was kann ein

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