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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein vernünftiger Mensch sein!«
    Aber er spielte weiter und fiel weder Dr. Stenton noch Major Braddock auf.
    In Bernegg schossen sie noch immer. Die Panzer vor dem Schloß schwiegen. Die Wolken des Pulverdampfes zogen träge durch die Büsche und durch den Park. Der Wastl schnupperte wie ein Kaninchen.
    »Dös werden wir jetzt nie mehr riechen!« sagte er. »Gott sei's gedankt. Wir Deitschen schiaßen nie mehr!«
    Und die Glocken läuteten dazu aus allen Tälern.
    Mit dem Ende des Kriegs begann, fast über Nacht, der Aufbau. Wie ein Heer Ameisen sich über den zerstörten Bau stürzt und Hälmchen und Hölzchen und Tannennadeln zusammenträgt, so wimmelte es in den Trümmern der Städte von tätigen Menschen.
    Eine Hilfspolizei mit weißen, gestempelten Armbinden wurde eingesetzt, erste Ausweise wurden ausgestellt, Bürgermeister wurden ernannt, die bisherigen Beamten blieben bis zur kommenden ›Durchleuchtung‹ im Amt, soweit sie nicht besonders stark belastet waren, was sich anhand der überall sofort beschlagnahmten Parteilisten feststellen ließ.
    Auch in Köln standen die Frauen und die alten Männer auf den Straßen, räumten die Fahrbahnen frei, warfen die Trümmer in ausgebrannten Häusern zu Haufen zusammen, zogen Lichtleitungen, flickten die Wasserrohre und bargen die letzten Toten aus den Kellern, die freigeschaufelt wurden.
    Auch in der ehemaligen Horst-Wessel-Straße begann das Aufräumen. Ursula und Frau Schwabe waren mit einer Handkarre, die ihnen die Nachbarin für zwei Pfund Kartoffeln und eine Wochenzuteilung Butter geliehen hatte, von Straße zu Straße gezogen, von einem ausgebrannten Haus zum anderen, waren in verlassene Keller geklettert und hatten verschüttete Hinterhöfe durchforscht.
    Sie suchten eine Tür.
    Bei einem der letzten Angriffe auf Köln war eine Luftmine in die Trümmer der gegenüberliegenden Straßenseite gekracht. Der Luftdruck hatte die Kellertür gesprengt und die beiden Frauen gegen die Wand geschleudert. Dort hatten sie mehrere Stunden lang bewußtlos gelegen, mit Mörtel und Staub bedeckt, grau gepudert, wie die Bombenleichen, die noch überall lagen. Es war ein alltäglicher Anblick geworden, und die Nachbarn, die nach dem Angriff in den Schwabe-Keller sahen, nickten nur und gingen wieder.
    »Lungenriß!« sagte einer. »Isch jeh zur Ortsjrupp und hol da Papiersack.«
    Ein Sarg war ein Märchen aus einem Bilderbuch, eine pietätvolle Erinnerung geworden. In Säcken aus präpariertem Papier wurden die Bombenleichen in Reihen- oder Massengräbern verscharrt.
    Aber Ursula und Frau Schwabe hatten den Luftdruck bis auf einige Beulen am Körper überlebt. Als dann die Amerikaner einrückten, waren sie drei Tage lang nicht aus dem Keller herausgekommen, aus Angst, ein Neger könne sie anfallen. Erst als die Kampftruppen weiterzogen und die Besatzungssoldaten kamen, als Köln zur Nachschubdrehscheibe wurde und die Bäckereien pro Kopf 100 Gramm glitschiges Brot ausgaben, wagten sie sich hervor und stellten sich mit in die lange Reihe der Wartenden – von 4 Uhr morgens, sich alle zwei Stunden ablösend, bis sie um 11 Uhr ihre 200 Gramm bekamen.
    Nun war der Krieg zu Ende. Eine neue Tür war notwendig. Dreimal waren Trümmerfledderer in den Keller gekommen. Nur der Hilfeschrei der beiden Frauen hatte sie verjagt.
    Am Abend hatten sie endlich eine schöne, feste Tür gefunden. Sie hing im Türrahmen eines bis zum ersten Stockwerk ausgebrannten Hauses und hatte früher einen Korridor vom Treppenhaus getrennt. Sogar der Schlüssel steckte noch im Schloß. Zwar war sie etwas angesengt und verwittert, aber es war eine gute, dicke, feste Eichentür.
    Ursula und Frau Schwabe bauten sie aus. Sie hieben mit Hämmern den Rahmen auseinander, luden die Tür auf den Handkarren und schoben ihren Schatz ächzend und keuchend zurück zur Horst-Wessel-Straße. Sie hieß noch so, obwohl man die noch vorhandenen Straßenschilder sofort beim Einmarsch abmontiert hatte. Aber einen neuen Namen hatte man der Straße noch nicht gegeben.
    Als sie vor dem Hause Nr. 4 ankamen und die schwere Tür von der Karre hoben, saß auf der Kellertreppe ein Mann. Er trug einen zerschlissenen graublauen Anzug, eine karierte Sportmütze und plumpe ›Knobelbecher‹, über die er die Hosenbeine gezogen hatte. Er sprang auf, als er die beiden Frauen kommen hörte, und tauchte aus dem Kellereingang auf, als sie die Tür auf die Straße hoben.
    »Der liebe Junge ist wieder da!« rief der Mann, riß seine Mütze vom

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