Das geschenkte Leben
war klar, daß es ihn umhauen würde. Und so ist es ja dann auch gekommen.«
»Es war wirklich sehr gut, daß Sie uns darüber informiert haben. Ich glaube – genau wie Dr. Rosenthal – daß wir den Patienten nur durchgebracht haben, weil wir außergewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen haben, um ihr Geschlecht vor ihr zu verheimlichen. Aber schwer war es trotzdem.«
»Schwer war es für uns beide, Doktor. Wenn ich nicht mehr als doppelt so alt und Eunice nicht verheiratet gewesen wäre, hätte ich alles getan, um sie zu heiraten. Und ich bin mir sicher, daß für den alten Johann das gleiche gilt. Daher wußte ich, was für einen Schock die ganze Sache für ihn bedeuten würde.«
»Wie ist sie gestorben? Bei einem Verkehrsunfall?«
»Nein, sie wurde umgebracht. Vielleicht war es ein Räuber, vielleicht auch ein Psychopath. Herausfinden werden wir es nie, denn er wurde praktisch noch während der Tat von Johanns Wachen getötet. Auf diese Weise wurde sie auch gerettet – ihr Körper, meine ich – denn die beiden brachten sie sofort in ein Krankenhaus.« Salomon stieß einen Seufzer aus. »Es hilft tatsächlich, darüber zu reden.«
»Gut. Wieso kamen Johann Smith’ Wachen zu spät?«
»Ach, das arme Mädchen versuchte, ein paar Minuten Zeit einzusparen. Sie war Blutspenderin – AB-Negativ – und …«
»Oh! Jetzt weiß ich, weshalb mir ›Miss‹ Smith irgendwie bekannt vorkam. Ich habe sie einmal gesehen, als sie einem meiner Patienten Blut spendete. Ein hübsches Mädchen, sehr freundlich und etwas, äh, exotisch gekleidet.«
»Erotisch gekleidet, meinen Sie. Ja, das war Eunice. Sie wußte, daß sie gut aussah und hatte nichts dagegen, andere an ihrer Schönheit teilhaben zu lassen.«
»Ich wollte, ich hätte sie gekannt.«
»Ja, ich hätte es Ihnen gegönnt, Ihr Leben wäre dadurch bereichert worden. Johanns Wachen hatten den Auftrag, sie zu begleiten, wenn sie einen Notruf wegen einer Blutspende erhielt. Sie sollten sie an der Tür abholen und sicher zum Wagen geleiten. Sie wohnte im neunzehnten Stock in einem dieser Hochhäuser im Nordteil der Stadt. Natürlich gab es dort einen Fahrzeugaufzug, aber keinen, der in der Lage gewesen wäre, eine gepanzerte Limousine wie die von Johann zu transportieren. Und so beschloß das arme Mädchen, zehn Minuten einzusparen, indem sie den Personenlift benutzte, statt auf die Eskorte zu warten. Dort wurde sie dann angegriffen und getötet.«
»Ein Jammer. Ich nehme an, sie wußte nicht, daß wir über die nötigen Mittel verfügen, einen Patienten noch etwas länger am Leben zu erhalten, wenn wir wissen, daß ein Spender unterwegs ist.«
»Vielleicht wußte sie das, vielleicht auch nicht – jedenfalls war es charakteristisch für Eunice Branca, daß sie sich zu beeilen versuchte.«
»Wirklich ein Jammer. Sie können Ihr Hemd jetzt wieder anziehen. Was sagten Sie, wie alt Sie sind?«
»Ich habe nichts gesagt. Aber mein zweiundsiebzigster Geburtstag steht vor der Tür.«
»Erstaunlich. Sie wirken jünger – innerlich, meine ich, nicht unbedingt vom Gesicht her …«
»Ich weiß, daß ich häßlich bin.«
»›Distinguiert‹ wäre wohl ein akzeptablerer Ausdruck. Jedenfalls wirken Sie physiologisch erheblich jünger. Etwa zwanzig Jahre, würde ich sagen.«
»Dann kann ich also Ihre Medizin nehmen?«
»Ich bin nicht sicher, ob Sie die überhaupt brauchen. Wenn Sie wollen, können Sie heimgehen. Oder bleiben. Wenn Sie bleiben, würde ich gerne Ihr Herz mit einem Monitor überprüfen. Professionelles Interesse.« (Und um sicherzugehen, daß du nicht doch umfällst, alter Knabe – manchmal bleibt das Herz nach einem derartigen Schock auch ohne besondere Ursache einfach stehen.)
»Nun … ich bin wirklich müde. Könnte ich etwas essen und anschließend direkt ins Bett gehen? Vielleicht mit einer zwölf Stunden-Dosis statt der achtstündigen?«
»Kein Problem.«
Kurz darauf lag Jake Salomon im Bett und schlief. Hedrick aß etwas, schaute bei seiner Patientin herein, gab der Nachtwache Anweisung, ihn zu wecken, sofern die Anzeigen bestimmte Werte überschritten, und begab sich ebenfalls zu Bett. Er selbst benötigte niemals die Schlafmittel, die er anderen verordnete.
Trotz der Sedierung hatte Johann Smith schwere Träume. Einmal murmelte der alte Mann in dem geborgten Schädel: »Eunice?« (Ich bin hier, Boß. Schlaf wieder.) »In Ordnung, meine Liebe. Ich wollte nur wissen, wohin du gegangen bist.« (Hör mit dem Blödsinn auf, Boß. Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher