Das geschenkte Leben
Rosenthal für ihn räumte. Dann nahm er Salomons Handgelenk, fühlte den Puls und fragte: »Wie fühlen Sie sich?«
»Mir geht’s gut«, erklärte Salomon dumpf. »Tut mir leid, daß ich mich selbst zum Narren gemacht habe. Aber wie geht es ihr?«
»Schläft. Sie haben sie gern gehabt, nicht wahr?«
»Wir haben sie beide gern gehabt. Sie war ein Engel.«
»Dann weinen Sie um sie. Tränen sind das Schmiermittel der Seele. Männer wären sehr viel besser dran, wenn sie genauso oft heulen würden wie Frauen. Stimmt’s, Rosenthal?«
»Genau, Doktor. Kulturen, in denen die Männer oft weinen, haben wenig Bedarf an meinem Berufszweig.« Er lächelte. »Mr. Salomon, da Sie hier in guten Händen sind, werde ich jetzt gehen und mir ein paar vielversprechendere Patienten anschauen. Es sei denn, Sie brauchen mich noch, Doktor?«
»Gehen Sie nur, Rosy. Vielleicht sollten Sie morgen wieder hier sein, wenn wir die Patientin aufwecken. Gegen zehn Uhr etwa.«
»Auf Wiedersehen, Dr. Rosenthal. Und vielen Dank. Danke für alles.«
»Keine Ursache. Lassen Sie sich nur von diesem Veterinär kein Flohpulver andrehen.«
»Dr. Hedrick«, sagte Salomon, »diese riesige Burg steht voller Betten. Was halten Sie davon, wenn Sie sich eines davon aussuchen und ich Ihnen eine Pille gebe, die sie garantiert acht Stunden lang traumlos schlafen läßt?«
»Es geht mir gut. Wirklich.«
»Wenn Sie das sagen. Ich kann Sie nicht zu einer Medikamenteneinnahme zwingen. Doch als menschliches Wesen, daß Sie mittlerweile recht gut kennt, muß ich zugeben, daß ich mir mehr Sorgen wegen Ihnen als wegen meiner Patientin mache. Sie haben sie als ›Engel‹ bezeichnet – damit meinten Sie die Spenderin, nicht Miss Smith.«
»Wie? Ja, natürlich. Eunice Branca.« Sein Gesicht verzog sich kurz.
»Ich habe sie nie kennengelernt, und im Umgang mit Engeln habe ich auch kaum Erfahrung. Ärzte lernen die Menschen in der Regel nicht von ihrer besten Seite kennen. Doch ihr Körper wäre eines Engels würdig, einen gesünderen habe ich nie gesehen. Laut Unterlagen achtundzwanzig Jahre alt, von der physiologischen Seite her aber mindestens fünf Jahre jünger. Sie – Miss Smith meine ich jetzt, Miss Johann Smith – kann einen schweren Schock erleiden und ihn überstehen, weil dieser wundervolle junge Körper sie unterstützt. Doch Sie haben in etwa den gleichen Schock erlitten, und Sie, wenn ich das so sagen darf, sind nicht mehr jung. Wenn Sie nicht hier schlafen wollen, was am besten wäre …«
»Ich will nicht hier schlafen!«
»Gut. Das Zweitbeste wäre, wenn Sie mir gestatten, Herz, Lungen und Blutdruck zu überprüfen. Wenn mir nicht gefällt, was ich finde, sollten Sie hier liegenbleiben, während ich Ihren Hausarzt rufe.«
»Der macht keine Hausbesuche.«
Hedrick grunzte. »Dann ist er auch kein richtiger Praktiker. Ein Hausarzt geht dorthin, wo er gebraucht wird. Aber wie sieht es mit der Untersuchung aus? Darf ich sie vornehmen?«
»Äh, ja, natürlich. Und ich nehme auch diese Pille, wenn ich das zu Hause tun darf. Normalerweise benutze ich solche Mittel nicht, aber heute ist das wohl ein besonderer Fall.«
»Gut. Wenn Sie jetzt Ihr Hemd ausziehen …«
Während der Untersuchung erklärte er: »Mr. Salomon, ich habe nicht Dr. Rosenthals Qualifikation, aber wenn es Ihnen hilft, bin ich ein guter Zuhörer. Ich weiß, die ganze Sache hat Ihnen auf der Seele gelegen, doch jetzt, wo Johann Smith weiß, daß er nunmehr ›Miss Smith‹ ist und zudem den Körper seiner ehemaligen Sekretärin besitzt, haben Sie eigentlich das Schlimmste überstanden. Doch wenn es da noch mehr gibt, was Sie bedrückt, können Sie gern darüber reden.«
»Es macht mir nichts aus, über Eunice zu sprechen. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Nun, Sie könnten mir beispielsweise erzählen, wie es kam, daß so ein hübsches Mädchen getötet wurde. Ich habe den Namen der Spenderin nie gehört, bevor Sie ihn nannten. Wir respektieren die Privatsphäre, wenn der Spender anonym bleiben will, und solange alle Unterlagen in Ordnung sind, stellen wir keine Fragen.«
»Ja, richtig, es gab eine derartige Vorgabe. Ich nehme an, Eunice hatte die romantische Vorstellung, sie könnte ihren Körper ihrem Boß vermachen, wenn sie ihn nicht mehr brauchte, ohne daß er es je erfuhr. Natürlich eine lächerliche Idee, aber es paßte zu ihrem süßen Naturell. Ihnen mußte ich es sagen, nachdem es so aussah, als könnte Johann in seinem neuen Körper überleben. Mir
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