Das geschenkte Leben
sich von O’Neil in den Wagen helfen und verriegelte die Fondtüren von innen, während die Männer ihre Plätze einnahmen. Das schwere Stahltor zur Straße öffnete sich elektrisch, und der große Wagen rollte hinaus. (Eunice, wo hast du früher deine Kleider gekauft? Du hattest immer sehr extravagante Sachen.) (Puh, die Kleider machten es nicht. Ohne Joes Malerei hätte ich halb so interessant ausgesehen. Und Joan, wo ich einkaufte, solltest du nie einkaufen.) (Warum denn nicht?) (Weil es nicht geht. Eine reiche Frau wie du kauft Originalmodelle und achtet auf beste Qualität. Ich kenne zwei Läden, die für dich in Frage kämen; sie haben ihre Räume unten in Gimbels Warenhaus.) (Gut. Wir werden hinfahren, wenn wir mit der anderen Sache fertig sind.)
Sie schaltete die Sprechanlage ein. »Finchley.«
»Ja, Miss?«
»Halten Sie auf dem Parkplatz neben der Autobahnbrücke. Shorty und ich werden von dort zu Fuß gehen.«
»In Ordnung, Miss.«
»Shorty soll ein Funksprechgerät an seinen Gürtel hängen; wo wir hingehen, gibt es keine Parkmöglichkeit. Oder jedenfalls gab es keine, als ich das letztemal in der Stadt war. Wie lange ist das her? Zwei Jahre?«
»Zwei Jahre und sieben Monate, Miss. Sind Sie sicher, daß Sie nicht auch Fred mitnehmen wollen?« (Lieber nicht, Joan; Fred kann lesen.)
»Nein, er kann beim Wagen bleiben, Finchley.«
Als der Wagen hielt, hakte Joan ihren Gesichtsschleier in die Ösen an der weichen Kapuze und verbarg ihre Identität vor neugierigen Blicken. Shorty – ein zwei Zentner schwerer Koloß von einem Neger, einen Meter neunzig groß und im Nebenberuf Prediger einer Sekte – sperrte auf und half ihr ins Freie. Bald waren sie im Gedränge der Passanten, und Joan war froh, daß sie den schwarzen Riesen neben sich hatte; sie fühlte sich plötzlich verwundbar und verloren, als sie die belebte Geschäftsstraße entlangging. »Shorty, das Gebäude, das ich suche, hat die Nummer hundertsiebenunddreißig; können Sie es finden?« Die Frage hatte nur den Zweck, daß er sich nützlich fühlte. Sie wußte recht gut, wo das Gebäude war; es gehörte ihr.
»Oh, natürlich, Miss – ich kann Zahlen wirklich gut lesen. Bloß Wörter sind schwierig für mich.«
»Shorty, wie kommen Sie als Prediger zurecht? Ich meine, wenn Sie nicht die Bibel lesen können.«
»Keine Schwierigkeit, ich habe alles auf Tonband. Und die wichtigsten Stellen weiß ich auswendig. Wenn ich über etwas spreche, lasse ich vorher das Band ablaufen und präge mir ein, was ich brauche.«
»Sie haben ein bemerkenswertes Gedächtnis. Ich wünschte, ich könnte von mir das gleiche sagen.«
»Man braucht nur Geduld. Als ich im Gefängnis war, hatte ich fast die ganze Bibel im Kopf. Der Gefängnispfarrer half mir; er brachte mich auf den rechten Weg.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Manchmal denke ich, ich sollte lesen lernen … aber irgendwie finde ich nie die Zeit.« (Wahrscheinlich hat der arme Kerl nie eine Schule besucht, Boß.) (Lesen bringt manche Leute bloß auf die falschen Gedanken, Eunice. In der Schule werden ihnen große Rosinen in die Köpfe gesetzt, sie wollen alle hoch hinaus und sind nachher unzufrieden, wenn sie unten bleiben. Die Abschaffung der Schulpflicht war eine gute Sache für uns.) (Ich weiß nicht, Boß; Joe hat ganz anders darüber geredet. Er sagte, die Kapitalisten hätten die Schulpflicht abgeschafft, um das Volk zu verdummen und billige Arbeitskräfte zu kriegen. Außerdem sparten sie dabei Steuern, weil der Staat keine neuen Schulen bauen muß.) (So? Ich glaube, dein Joe war ein verkappter Kommunist. Mit solchen Reden kann er sich leicht ins Gefängnis bringen.) (Wenn du den reichen alten Sklavenhalter herauskehrst, kannst du richtig ekelhaft sein, Boß.) (Wollte ich nicht, Eunice, Liebling.)
»Ich glaube, die muß es sein, Miss – eins, drei, sieben.«
»Danke, Shorty.« Sie gingen hinein. Der Pförtner verlangte keinen Ausweis von ihr, und sie bot ihm keinen an, weil sie keinen hatte, weder als Johann Smith noch als Eunice Branca. Der Mann warf einen Blick auf Shortys Uniform, die seiner eigenen glich, entriegelte das Drehkreuz und winkte sie durch. Joan Eunice lächelte ihn an und machte eine Gedankennotiz, daß die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Gebäude überprüft werden sollten. Der Pförtner hätte Shortys Ausweis fotografieren und die Nummer seiner Dienstplakette notieren müssen. (Boß, in einem so großen Geschäftshaus kann er nicht alle Leute derart gründlich
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