Das Gesetz Der Woelfe
nichts kapiert? Offensichtlich nicht.
»Gut, weshalb also will er ihn töten?«, fragte der Ältere nach kurzem Zögern pflichtschuldig, so wie wenn man einem kleinen Kind das zehnte Mal die erbetene Frage stellt, die es ihm ermöglicht, eine witzige Antwort zu geben und sich darüber kaputtzulachen.
Clara antwortete mit einem eisigen Lächeln: »Weil es die weiße Katze so befohlen hat!« Ihr Lächeln wurde breiter, als sie die Gesichter der beiden Männer sah. Sie nickte ihnen zu: »Meine Herren, vielen Dank für Ihre Mühe« und schloss mit einem heftigen Ruck die Tür. Dann ging sie in die Küche und begann, das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
Trotz besseren Wissens suchte Clara nach Elise. Sie klingelte bei den Nachbarn, klapperte die umliegenden Geschäfte ab, rief die Tierheime an. Dann lief sie hinunter zur Isar, am Ufer des Flusses entlang, stadteinwärts und stadtauswärts. Sie fragte die Spaziergänger dort, spielende Kinder, Liebespaare. Und wusste dabei doch die ganze Zeit, dass es vergeblich war. Irgendwann wurde es dunkel und ungemütlich. Ein kühler Wind zerrte an ihren Haaren und an ihrer Jacke. Sie ging nachhause. Doch die leere Wohnung flößte ihr Angst ein, das Geräusch ihrer Schritte im Flur, das Ticken der Küchenuhr. Was, wenn er zurückkam? Er war eingebrochen, ohne Spuren zu hinterlassen. Niemand hatte ihn gesehen. Er konnte es wieder tun. Sie war versucht, Pöttinger anzurufen, ließ es aber sein. Sie wusste genau, was er sagen würde, und das wollte sie nicht hören. Nach einer unruhigen halben Stunde, in der sie abwechselnd auf und ab gegangen war und regungslos auf den Kastanienbaum vor ihrem Wohnzimmerfenster gestarrt hatte, zog sie sich ihren dicken grünen Tweedmantel und ihre Stiefel an und machte sich auf den Weg ins Murphy’s.
Es war laut und voll wie immer. Clara setzte sich zu Mick an die Theke und schüttelte abwehrend den Kopf, als Mick automatisch ihr Stammglas füllen wollte. Nein, keinen Whiskey mehr heute Abend.
Er stellte ihr ein Bier hin und musterte sie prüfend. »Alles o. k.?«
Clara starrte trübsinnig in ihr Glas, ohne zu trinken. »Kann man nicht sagen, nein, wirklich nicht.« Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund, und Mick gab ihr zuvorkommend Feuer. Auf dem Barhocker neben ihr hustete jemand demonstrativ. Clara warf einen Blick hinüber zu der Frau, die dort vor einem Glas Wasser saß und heftig mit der verknickten Getränkekarte wedelte. Clara rückte ein wenig von ihr ab und blies den Rauch in die andere Richtung, obwohl dies in einem Lokal, in dem die Rauchschwaden wie in einer Räucherkammer an der Decke schwebten, eine ähnliche Wirkung hatte, wie einen Brand mit einer Spritzpistole löschen zu wollen. Die Frau würdigte Claras Bemühungen auch in keiner Weise und hustete weiter. Es klang so, als ob sie kurz vor dem Ersticken wäre. Clara hob die Augenbrauen und sah Mick an, der ihr viel sagend zublinzelte. Der Begleiter der Frau, ein hagerer Mann mit Nickelbrille und einer Beatlesfrisur, bot seiner keuchenden Begleitung an, mit ihm den Platz zu tauschen, was sie mit einem vorwurfsvollen Blick in Claras Richtung dankend annahm. Während die beiden umständlich von den Barhockern herunterkletterten, hatte Clara das Gefühl, eine Giftschlange zwischen ihren Fingern zu halten, so demonstrativ wandten sich die beiden von ihr ab. Sie nahm noch einen Zug von der Zigarette und meinte schließlich leicht genervt: »Warum setzen Sie sich nicht dort hinüber an einen der Tische, dort raucht niemand.«
Das Husten verstummte augenblicklich. Die Frau warf ihrem Begleiter einen leidenden Blick zu, der ihn veranlasste, sich zu seiner ganzen Größe aufzuplustern. »Das ist doch wohl der Gipfel!«, begann er und bedachte Clara mit einem Blick, der für besonders widerwärtige Zeitgenossen reserviert zu sein schien. »Sie verpesten hier die Luft mit Ihrem Gift, Sie …«, er deutete mit einem Finger auf Clara und wedelte oberlehrerhaft herum, eine Geste, die Clara ganz besonders hasste, »Sie vergiften Ihre Mitmenschen rücksichtslos und genauso vorsätzlich wie ein Mörder und verlangen von uns, dass …«
Weiter kam er nicht. Clara hatte mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen. Ihre Augen funkelten gefährlich. Mit der noch immer glimmenden Zigarette in der Hand schob sie sich ganz nahe an den Mann heran. Er wich ein paar Zentimeter zurück.
»Jetzt hören Sie mir mal genau
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