Das Gesetz Der Woelfe
wie Clara es heute Vormittag verlassen hatte. Sogar die Leine hing noch am Haken hinter der Tür. Ihr Hund war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Clara sank in die Knie. Sie hörte sich laut aufschreien und erschrak selbst angesichts der Verzweiflung und der hilflosen Wut, die mit diesem Schrei aus ihr hervorbrachen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu weinen. Laut und klagend wie ein Kind. Doch der Schmerz wurde nicht weniger, er wurde stärker und stärker, mit jedem Laut. Sie wusste, dass sie Elise nicht wiedersehen würde. Sie wusste es mit einer Sicherheit, die so tief in ihr verankert war, dass es unmöglich schien, sie zu hinterfragen. Diese Leute erschossen Familienväter am hellen Tag auf dem Marktplatz, ohne je bestraft zu werden. Sie brachten Kinder dazu, kleinen Mädchen die Schoßhündchen zu stehlen, um sie für ein paar tausend Lire an ein Versuchslabor zu verscherbeln. Solche Menschen ließen keine Tiere leben. Clara stöhnte auf bei diesem Gedanken und schob ihn so weit von sich, wie sie nur konnte. Elise war tot, sie war sicher tot, ihr lebloser Körper lag irgendwo, unten an der Isar vielleicht, nein, wahrscheinlich hatte dieser gottverdammte Saukerl sie ins Wasser geworfen, sie trieb ab, den Fluss hinunter, aus der Stadt hinaus, um irgendwo anzulanden, ein namenloser Tierkadaver, der niemanden interessierte. Sie würde nie erfahren, was aus ihr geworden war, es war Teil des Plans, sie im Ungewissen zu lassen, sie hoffen zu lassen, sie gefügig zu machen.
Doch sie hoffte nicht. Sie hoffte nicht. Hoffte nicht.
Irgendjemand tippte sie vorsichtig an die Schulter. Zaghaft, wie ein kleiner Vogel pickte es durch ihre Bluse, immer wieder, hartnäckig. »Frau Niklas!« Endlich drang eine Stimme durch die Flut ihrer Tränen, und Clara fuhr herum. Hinter ihr schrak Frau Manninger, die Hausmeisterin, angesichts der hastigen Bewegung zusammen. »Frau Niklas!« Ihre Stimme war schrill, zu Tode erschrocken. »Was ist mit Ihnen? Ist was mit Ihrem Sohn?«
Clara schüttelte den Kopf und stand schwerfällig auf. »Nein. Elise, mein Hund!« Und zum ersten Mal war sie froh darüber, dass Sean bei seinem Vater war, weit, weit weg von hier.
»Ach!« Frau Manninger schien dennoch betroffen. »Is’ er Ihnen davong’laufen?«
»Nein. Er wurde gestohlen.« Clara versuchte, sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Die schwarzen Spuren der Mascara auf ihren Händen zeigten jedoch, dass sie damit alles nur noch schlimmer machte. »Ich muss die Polizei rufen, Frau Manninger. Ich weiß, wer es gewesen ist.« Sie begann wieder zu schluchzen.
Plötzlich kam Leben in Frau Manninger. Mit einem überraschend festen Griff nahm sie Clara beim Arm und führte sie in die Küche. Dort drückte sie sie energisch auf einen der Küchenstühle und meinte: »Sie trinken jetzt erst amal an Schnaps. Ham S’ so was daheim? Sonst hol ich einen von mei’m Mann, der hat g’nug davon.«
Clara musste trotz ihrer Tränen lächeln. Sie deutete zur Tür »Whiskey«, nuschelte sie mit verstopfter Nase. »Im Wohnzimmer.«
Frau Manninger warf Clara, die wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl saß, einen strengen Blick zu, der besagte, sie solle es nicht wagen, in ihrer Abwesenheit etwa vom Stuhl zu fallen, und wieselte zur Küche hinaus. Sie kam mit der Flasche zurück und füllte ein Wasserglas großzügig bis zum Rand.
Clara nahm einen Schluck, dann stellte sie das Glas auf den Tisch. »Danke«, murmelte sie und war erstaunt darüber, welch große Dankbarkeit diese kleine Geste in ihr auslöste. In ihre Augen traten erneut Tränen und sie schniefte.
Frau Manninger tätschelte ihr die Schulter und meinte beruhigend: »Na, na, na, das wird schon wieder, das Hunderl taucht schon wieder auf.«
Clara schüttelte heftig den Kopf: »Sie ist nicht davongelaufen! Sie wurde gestohlen!« Sie hörte, wie ihre Stimme schon wieder gefährlich kippte, und nahm noch einen Schluck Whiskey. Dann stand sie auf. »Ich muss die Polizei rufen!«, sagte sie mit etwas festerer Stimme und ging hinaus zum Telefon.
Frau Manninger folgte ihr: »Glauben S’ wirklich, dass des was bringt?«, wandte sie vorsichtig zweifelnd ein, doch Clara beachtete sie nicht. Sie wählte die Notrufnummer und meldete einen Einbruch. Der Beamte am Apparat nahm gewissenhaft ihren Namen und die Adresse auf und versprach, umgehend jemanden vorbeizuschicken. Clara atmete auf. Jetzt würde etwas geschehen. Sie wandte sich an die
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