Das Gesetz Der Woelfe
zu, sie selbstgerechtes Arschloch!«, sagte sie so laut, dass sich ein paar Köpfe in der Nähe nach ihr umdrehten. »Ich könnte Ihnen mehr über Rücksichtslosigkeiten und über Mörder erzählen, als Ihnen und Ihrer asthmatischen Tussi lieb sein dürfte. Ich würde also vorschlagen, Sie lassen mich in Frieden und trinken Ihr Wasser da drüben, weit, weit weg von mir. In Ordnung?«
Sie sah aus den Augenwinkeln, wie die Frau ihren Begleiter am Ärmel zupfte und aufstand. Sie hustete nicht mehr. Der Mann war sichtlich aus der Fassung gebracht. Er öffnete den Mund und klappte ihn dann wieder zu, ohne etwas zu sagen. Endlich packte er mit einer heftigen Bewegung sein Glas und ließ sich von seiner Frau an das Ende des Lokals dirigieren, an dem noch einige kleine Tische unbesetzt waren. Clara wandte sich wieder ihrem Glas zu und nahm endlich einen tiefen Schluck. Als sie das Glas wieder absetzte, fiel ihr Blick auf Mick, der sie amüsiert beobachtet hatte.
»Nicht dein bester Tag heute, was?«
Clara seufzte: »Ein Scheißtag ist das.«
Sehr viel später, als sich das Pub bis auf ein verliebtes Pärchen geleert hatte, das im Nebenzimmer in dem durchgesessenen Sofa neben der Bühne förmlich versank, saß Clara noch immer an ihrem Platz an der Theke und konnte sich nicht entschließen, nach Hause zu gehen. Sie hatte Angst vor der leeren Wohnung, und sie hatte Angst vor den Gedanken, die sie dort unweigerlich überfallen würden. Sie fürchtete sich vor der Stille, und wusste zugleich, dass jedes Geräusch, das diese Stille zerbrach, Panik in ihr auslösen würde. Sie spürte plötzlich und mit einer Wucht, die sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlte, wie einsam sie eigentlich war. Sie hatte ein paar Freunde, Willi gehörte dazu, Arno Pöttinger, Maren, eine gute alte Freundin aus der Studienzeit, die sie jedoch schon mindestens ein Jahr nicht mehr gesehen hatte. Aber jemanden, an den sie sich anlehnen konnte, der sie festhalten und trösten konnte, hatte sie nicht. Sie hatte es sich so ausgesucht, war allen engeren Bindungen aus dem Weg gegangen seit ihrer Zeit mit Ian, also schon seit einer Ewigkeit. Ihr Sohn und ihr Beruf waren ihr immer Halt genug gewesen. Und jetzt war dieser Halt plötzlich nicht mehr vorhanden. Ihr Sohn war erwachsen und begann, sein eigenes Leben zu leben. Und ihr Beruf? Er machte ihr Angst. Er machte sie hilflos. »Ich glaube, ich schaffe das nicht mehr«, flüsterte sie und fuhr mit dem Zeigefinger die Kanten des Bierdeckels nach. »Es ist zu viel.« Sie fühlte sich schwach, so als ob alle Energie aus ihr herausgeflossen wäre und nur eine leere Hülle zurückgelassen hätte. Sie spürte, wie sich ein Arm um ihre Schultern legte, und sah auf. Mick, der inzwischen die Stühle hochgestellt hatte, war um die Theke herumgekommen und saß jetzt neben ihr. »Was schaffst du nicht mehr?«, fragte er.
Clara spürte seine Berührung und seine Nähe überdeutlich, und augenblicklich versteifte sie sich und war versucht, ihn abzuschütteln. Doch nicht einmal dazu hatte sie noch genug Kraft, und Mick ließ seinen Arm, wo er war.
»Trinkst du noch einen Absacker mit mir?«, fragte er und deutete auf die beiden Gläser vor ihnen auf der Theke.
Clara nickte stumm. Mick schob ihr eines davon hin und schloss ihre Finger um das Glas. Er hatte warme Hände. Sie trank einen Schluck. Während sie etwas verwundert dem Gefühl nachsann, den dieser Geschmack noch immer und immer wieder in ihr weckte, löste Mick seinen Arm von ihr und zog einen Beutel Tabak aus seiner Hemdtasche.
»Was schaffst du nicht mehr?«, fragte er noch einmal, während er behutsam den Tabak auf dem dünnen Papier verteilte.
Clara beobachtete, wie er ihn sorgfältig festdrückte und das gefüllte Papier langsam zu drehen begann.
»Kämpfen«, sagte sie schließlich. »Ich kann nicht mehr kämpfen.« Sie fühlte, wie eine Welle von Selbstmitleid sie zu überschwemmen drohte. Mick leckte vorsichtig die gummierte Kante des Papiers ab, klebte beide Kanten zusammen und steckte sich die fertige Zigarette in den Mundwinkel. »Quatsch«, meinte er dann. »Du hast einen Durchhänger, das hat jeder mal.«
»Vielleicht.« Clara schloss die Augen. Es tat gut, hier zu sitzen und mit Mick zu reden. »Aber es ist ein bisschen viel in der letzten Zeit. Und heute hat jemand Elise gestohlen.«
Mick riss die Augen auf: »Ist nicht wahr!«
Clara nickte traurig: »Doch.« Sie nippte an ihrem Whiskey. »Jemand will mir richtig wehtun. Und es
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