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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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weit entfernt und bedeutungslos. Nur die Gedanken waren Realität, waren unverändert an diesem Morgen, so als hätte sie gar nicht geschlafen zwischen gestern und heute: die Angst, der Druck, einen Ausweg zu finden, ein Ende des Albtraums. Sie wischte den Spiegel sauber und betrachtete sich einen Augenblick, ein weißes, fremdes Gesicht, verschwommen vom Dampf, die nassen Haare klebten ihr am Kopf. Wie ertrunken, dachte sie. Du siehst aus wie ertrunken. Sie wandte sich ab und griff nach dem Handtuch, um sich die Haare trocken zu rubbeln. Einen Augenblick später kräuselten sie sich bereits wieder, und sie schnitt eine Grimasse, um die Beklemmung zu vertreiben. Mit feuchten Füßen tappte sie zurück ins Schlafzimmer und zog sich an. Dann ging sie in die Küche und begann sich Frühstück zu machen. Ein langer, leerer Sonntag lag vor ihr. Keine Arbeit, die getan werden musste, keine Verabredung, keine Elise, die auf einen Spaziergang wartete. Sie drehte das Radio an. Laut, um die Stille zu übertönen. Im Stehen biss sie in eine Scheibe trockenes Brot, während sie sich Kaffee in eine Tasse goss. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und ließ das Brot sinken. Sie holte einen Teller aus dem Schrank und deckte den Tisch. Ordentlich reihte sie die Marmeladengläser auf, die seit Seans Abreise nicht leerer geworden waren, die Butter, den Honig, legte ein paar Scheiben Schinken, die an den Ecken schon ein wenig trocken zu werden begannen, und einen Rest Käse auf einen Teller und setzte sich. Langsam und mit Bedacht begann sie zu essen. Aus dem Radio dudelte Popmusik von der seichteren Sorte. Sonntagmorgen-Familienfrühstückmusik. Langsam berührten ihre Füße wieder den Boden, fühlte ihr Kopf sich wieder zur Erde zugehörig an. Ihr fiel ein, dass sie gestern außer dem Frühstück mit Mick und einer Scheibe Brot nichts gegessen hatte und auch am Vortag nicht besonders viel. Sie goss sich Kaffee nach und schnitt sich noch zwei Scheiben Brot vom Laib. Hungrig aß sie alles auf und schmierte sich zum Abschluss noch ein Erdbeermarmeladenbrot. Langsam ließen die Kopfschmerzen nach. Seufzend lehnte sich Clara zurück. Dann nach einer Weile fasste sie einen Entschluss. Sie stand auf, schlüpfte in ihre festen Schuhe und zog sich ihre alte, ausgebeulte Wachsjacke an. Dann verließ sie die Wohnung und ging hinunter zur Isar. Es war windig und nieselte, kein Mensch war unterwegs. In der Ferne läuteten die Glocken einer Kirche. Sie begann schnellen Schrittes zu gehen. An der Stadtgärtnerei vorbei zur Wittelsbacher Brücke. Nach einer Weile blieb sie schwer atmend stehen. Sie war fast gelaufen. Ihre Wangen prickelten, und sie schwitzte in ihrer warmen Jacke. Langsamer ging sie zurück. Ihr Herz klopfte heftig. Sie fühlte sich wieder lebendig.
     
    Als Clara mit einer weiteren Tasse Kaffee und der ersten Zigarette an diesem Tag am Schreibtisch saß, war es bereits Mittag. Ihr Blick fiel auf den Zeitungsartikel, den sie gestern aus Pöttingers Ordner an die Wand gepinnt hatte. »Die unsichtbare Seite des Mondes …«, wiederholte sie und spürte den Schwingungen nach, die diese Worte in ihr auslösten. Da war er wieder, der Gedanke von gestern, der Ansatz einer Idee, noch nicht ganz greifbar, aber viel versprechend. Hier musste sie ansetzen. Vielleicht lag hier ihre Chance, Barletta etwas entgegenzusetzen. Ihre einzige Chance. Sie biss sich auf die Lippen und ballte unwillkürlich die Hände zur Faust. Sie war nicht schwach. Nicht so schwach, wie er glaubte. Ihre Waffen waren anders, aber nicht weniger wirkungsvoll. Sie musste sie nur richtig zu nutzen wissen. Ein anderer Satz, den sie gestern gelesen hatte, ging ihr wieder durch den Kopf: » Mit unserem Rechtssystem ist die’Ndrangheta nicht zu besiegen .« Es widerstrebte ihr zutiefst, diesen Satz einfach so stehen zu lassen. Es würde eine Lösung geben. Barletta war kein Schattenwesen, kein Ungeheuer, er war ein Mensch. Und dieser Mensch hatte einen Schwachpunkt. Dies war ihr beim Lesen dieses Artikels bewusst geworden, in dem die Seele der’Ndrangheta so anschaulich beschrieben worden war. Als sie die Gesichter dieser jungen Männer auf dem Foto gesehen hatte, war es ihr klar geworden: Barletta war auch einer wie sie. Einer, der keine großen Möglichkeiten im Leben hatte. Einer von denen, deren einzige Aussicht, etwas zu werden, etwas zu gelten, war, sich der Mafia anzuschließen. Und was war er geworden? Befehlsempfänger und Vollstrecker einer Organisation, deren

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