Das Gesetz Der Woelfe
fiel die ganze kühle Mauer, die sie nach der gemeinsamen Nacht mit Mick um sich herum aufgebaut hatte, wie ein Kartenhaus lautlos in sich zusammen und hinterließ nichts als einen Trümmerhaufen. Ruinen. Immer wieder musste sie aus Ruinen hinausklettern.
Clara stand im Flur, die Schlüssel noch in der Hand, und sah traurig auf die leere Matratze, den Fressnapf, Seans zerbissenen Hausschuh. Morgen früh würde sie die Sachen in den Keller räumen. Und Sean anrufen, um es ihm zu sagen. Und dann, irgendwie anfangen zu vergessen. Clara schluckte. Und schüttelte langsam den Kopf. Noch war es nicht so weit. Vorher, vorher würde sie noch etwas anderes tun. Es war ihr schon eingefallen, als sie Barletta gegenüber die Tierschützer erwähnt hatte, und mit jedem Tag war der Vorsatz in ihr ein wenig mehr gereift. Sie wusste, es war eine verrückte, kindische Idee, gefährlich und kriminell noch dazu, aber das war ihr egal. Sie konnte noch etwas tun, bevor sie beginnen musste, Elise zu vergessen, und wenn es nur eine kleine, armselige Rache war. Sie warf den Schlüssel auf die Kommode und ging ins Schlafzimmer, um alles vorzubereiten. Die Dinge, die sie benötigte, hatte sie bereits gestern in der Stadt eingekauft, Seans altes Fahrrad stand unten im Schuppen mit frischer Luft in den Reifen bereit. Nach einem einsamen Essen vor dem Fernseher mit Tiefkühlpizza und Paprikaoliven aus der Dose ging sie früh ins Bett, stellte den Wecker auf drei Uhr und schlief fast augenblicklich ein.
Es war ein kalter, regnerischer Morgen, und Clara hatte ihre Radelkondition weit überschätzt. Ziemlich außer Puste und völlig durchnässt in ihren schwarzen Klamotten kam sie vor Carraros Haus an. Es war Viertel nach vier, und das ganze Viertel war noch wie ausgestorben. Clara war auf ihrem Weg durch die Stadt keinem einzigen Menschen und nur wenigen Autos begegnet. Sie stellte das Rad ein wenig abseits an einen Laternenpfahl und ließ es unverschlossen, für den Fall, dass sie schnell flüchten musste. Es war nicht das erste Mal, dass sie so etwas tat, aber die letzten Unternehmungen dieser Art lagen fast fünfundzwanzig Jahre zurück und waren eigentlich unter der Kategorie Jugendsünden ad acta gelegt. Sean hatte sie niemals davon erzählt, und sie hätte ihm die Ohren lang gezogen, wäre er jemals bei etwas Ähnlichem erwischt worden. Clara mochte sich gar nicht ausmalen, was für einen Wirbel es verursachen würde, wenn man sie heute Nacht ertappte. Sie sah die Schlagzeilen förmlich vor sich. Sollte es so weit kommen, würde sie sich eine ganze Weile im Gericht und bei ihren Kollegen nicht mehr sehen lassen können.
Sie nahm ihren Rucksack vom Rücken und zog eine schwarze Strickmütze heraus. Auch sie gehörte Sean. Er benutzte sie beim Skifahren. Mit einem sorgfältigen Blick in beide Richtungen der Straße und an den dunklen Fenstern der Häuser hinauf, vergewisserte sie sich, dass niemand sie beobachtete, dann zog sie sich die Mütze über den Kopf und stopfte ihre verräterischen roten Haare hinein, bis keine einzige Strähne mehr zu sehen war. Sie schob die Mütze tief in die Stirn und setzte sich eine dunkle Sonnenbrille auf, die sie gestern in einem Drogeriemarkt zusammen mit dem billigen Rucksack erstanden hatte. So würde man sie wenigstens nicht auf den ersten Blick beschreiben können, falls jemand sie tatsächlich beobachten sollte. Willi fiel ihr ein, während sie die Spraydose mit der roten Farbe herausnahm und ihren Rucksack sorgfältig wieder schulterte. Ihm würden die Haare zu Berge stehen, wenn er sie jetzt so sehen könnte. Mick nicht. Er würde ihr womöglich sogar helfen. Sie verbannte diesen außerordentlich störenden Gedanken aus ihrem Kopf und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Das Haus, in dem die Familie Carraro wohnte, war ein unscheinbarer Altbau mit einer hellgrau gestrichenen, glatten Fassade ohne Schnörkel, wie geschaffen für Graffiti und ähnliche Schmierereien. Noch einmal vergewisserte sich Clara, dass sie allein war, dann ging sie schnell auf die Fassade zu und begann hastig, aber konzentriert Buchstabe für Buchstabe an die Wand zu sprühen. Es dauerte nur wenige Minuten, dann war sie fertig. Mit einem weiteren Blick auf die noch immer menschenleere Straße stopfte sie schnell die leere Dose in ihren Rucksack zurück und zog sich Mütze und Sonnenbrille vom Kopf. Dann ging sie auf die andere Straßenseite und betrachtete mit einer gewissen Befriedigung ihr Werk. Es war nicht zu
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