Das Gesetz Der Woelfe
warum, warum nur hatte sie ihren Gefühlen derart freien Lauf gelassen? Sie schauderte, als sie an den Moment dachte. Sie war vor sich selbst erschrocken. Und dann war etwas Schreckliches geschehen. Ein Versprechen war gegeben worden, ein Schwur besiegelt. Sie begann wieder zu zittern und schloss mit klammen Fingern ihre Wohnungstür auf. Es war nicht vorbei. Es hatte erst begonnen. Sie hatte es so deutlich in seinen Augen gesehen, als ob Barletta es ihr ins Gesicht geschrien hätte: Er würde sich vor ihr kein zweites Mal eine Blöße geben. Er würde nicht aufgeben. Sie verriegelte die Tür und legte die Kette vor. Dann rettete sie sich in ihre Küche, den einzigen Ort, der durch seine vollgestopfte Enge so etwas wie Zuflucht bot, und zündete sich mit noch immer zitternden Fingern eine Zigarette an. Das Nikotin tat fast augenblicklich seine Wirkung. Ihr Kreislauf beruhigte sich. Sie atmete tief ein und musste husten. Nach einer Weile stand sie auf und ging zum Telefon. Sie wählte Arno Pöttingers Handynummer und lauschte angestrengt dem Klingeln. Hoffentlich war er schon zuhause und nicht mehr im Murphy’s. Endlich wurde abgehoben. »Kannst du bitte kommen?«, bat sie kleinlaut, und als er ohne weitere Fragen meinte, er könne in zwanzig Minuten da sein, traten ihr vor Erleichterung die Tränen in die Augen.
Arno Pöttinger war sauer, weil sie sich nicht vorher mit ihm in Verbindung gesetzt hatte. Dennoch hörte er sich ihre Geschichte aufmerksam an und meinte am Ende sogar, es sei - abgesehen davon, dass es natürlich riskant, unvernünftig und einfach irrsinnig war - trotz allem ein recht kluger Schachzug von ihr gewesen, so zu handeln. Die Zweifel, ob damit wirklich das Ziel erreicht war, konnte er ihr jedoch nicht nehmen. »Du hast die Unterlagen gelesen«, meinte er achselzuckend. »Das ist ein gefährliches Terrain, auf das du dich hier begeben hast.«
»Glaubst du, ich habe es noch gefährlicher gemacht?« Sie sah Pöttinger eindringlich an »Ich bin zu weit gegangen, ich habe eine Grenze überschritten, das konnte ich spüren.«
Pöttinger schüttelte den Kopf. »Steigere dich nicht zu sehr hinein«, warnte er. »Das macht dich nur verrückt.«
Clara nickte. Es kam ihr so vor, als sei sie davon nicht mehr weit entfernt.
Arno Pöttinger klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und stand dann auf: »Wer weiß, vielleicht war es auch genau das Richtige? Du hast ihn immerhin mit etwas zu fassen gekriegt, und das ist schon mehr, als so manche Ermittler von sich behaupten dürfen.«
Clara versuchte ein dünnes Lächeln und winkte ihm zu, während er die Treppe hinunterstieg. Als sie zurück in die Küche ging, dachte sie über seine letzten Worte noch einmal nach: Pöttinger hatte recht. Sie hatte Barletta gepackt. Immerhin. Und im Grunde hatte sie auch gar keine andere Wahl gehabt.
Trotz aller Ängste und Befürchtungen schwebte die unvernünftige, unwahrscheinliche Hoffnung, Elise doch noch lebendig zurückzubekommen, wie eine zarte, durchsichtige Seifenblase über der kommenden Woche. Clara wagte nicht, sie in Worte zu fassen, wagte nicht einmal, daran zu denken, aus Angst, sie würde sich in nichts auflösen. Sie sprach mit niemandem über ihr Treffen mit Barletta. Willi gab sie so unwillig und wortkarg darüber Auskunft, dass er schließlich aufgab. Die besorgten Blicke, die er ihr zuwarf, übersah sie ebenso wie Ritas Bemühungen, sie mit Thunfischsandwiches und frischen Tomatenbroten aufzumuntern. Die Tage verstrichen blass und freudlos, aneinandergereiht wie alte Wäsche, die grau verfärbt und knittrig an der Leine hängt.
Massimo Moro kam in Begleitung von Johannes Simoneit in die Kanzlei und legte tatsächlich seine Aussage gegen Richter Oberstein schriftlich nieder. Ihre vorsichtige Frage, ob er wohl auch bereit wäre, gegen Gaetano Barletta wegen gefährlicher Körperverletzung auszusagen, wurde mit ungläubigen Blicken und gallebitterem Lachen quittiert. So blieb ihr nur Richter Oberstein, den sie angesichts der vergangenen Ereignisse fast ein wenig aus dem Blick verloren hatte. Sorgfältig geheftet lag nun Moros Aussage in einem Ordner vor ihr. Sie starrte nachdenklich darauf. Die freudige Erregung, die sie sonst verspürte, wenn sie etwas in der Hand hielt, das ihr in einem Fall einen Überraschungserfolg versprach, wollte sich nicht einstellen, obwohl sie wusste, wie wertvoll diese Aussage war, wie viel sie Moro gekostet hatte. All ihre Versuche, Angelo mit regulären Mitteln
Weitere Kostenlose Bücher