Das Gesetz Der Woelfe
gelingen. Wo war Barletta? Er hatte sich vollkommen unsichtbar gemacht, doch das bedeutete nicht, dass er nicht mehr da war.
Willi hakte nicht weiter nach. Es hatte keinen Sinn. Clara sah im Moment nur das, was sie sehen wollte. Und stur wie sie war, würde sie sich auch nicht von etwas anderem überzeugen lassen. Und vielleicht war das sogar gut so, überlegte er dann. Clara hatte ein paar ruhige Tage bitter nötig. Die letzten Wochen hatten sie ziemlich mitgenommen. Sie sah erschöpft aus. Ihre helle, zarte Haut wirkte fahl und zerknittert, und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Dann fiel ihm noch etwas ein: »Pöttinger lässt außerdem fragen, ob Karl Killesreiter dir weiterhelfen konnte.«
»Karl Killesreiter?« Clara runzelte die Stirn. »Wer soll das sein?«
Willi hob die Schultern und versuchte, seine Pfeife wieder zum Glimmen zu bringen. »Keine Ahnung. Ich dachte, du wüsstest Bescheid, Arno klang danach. Das ist wohl ein Freund von ihm aus Passau oder so.« Er zog vorsichtig, und als endlich Rauchwolken aufstiegen wie bei einer indianischen Räucherzeremonie, lehnte er sich zufrieden zurück.
Clara wedelte mit beiden Händen den Rauch aus ihrem Gesicht und rümpfte die Nase: »Du hättest letztens neben dieser Rauchgegnerin im Murphy’s sitzen sollen, die hätte glatt den Löffel abgegeben.«
»Wann warst du denn im Murphy’s?«, fragte Willi interessiert und paffte ungerührt weiter.
»Das … ist schon länger her.« Clara zündete sich ebenfalls eine Zigarette an, um den Rauchwolken, die aus Willis Pfeife quollen, etwas Ebenbürtiges entgegenzusetzen. Dann wechselte sie schnell das Thema. »Aus Passau ist dieser Killereiter? Bist du sicher?« Ihr war etwas eingefallen.
»Killesreiter«, verbesserte sie Willi. »Nein, sicher bin ich mir überhaupt nicht. Irgendwo aus Niederbayern jedenfalls.«
»Könnte er auch Deggendorf gesagt haben?«, wollte Clara, plötzlich aufgeregt, wissen.
»Mm. Jetzt, wo du es sagst. Ja, ich glaube, du hast recht, es war Deggendorf.«
»Mist!«
»Wieso?« Willi nahm die Pfeife aus dem Mund. »Stimmt was nicht mit dem?«
Clara war schon aufgesprungen. »Doch, doch. Alles in Ordnung. Ich bin so eine blöde Kuh.« Sie gab Willi einen Kuss auf die Wange, rief Elise und war schon zur Tür hinaus, noch bevor Willi die Pfeife wieder zwischen seine Lippen geschoben hatte.
Zuhause durchwühlte sie fieberhaft ihren Schrank. Sie erinnerte sich, den Zettel mit der Telefonnummer, den Linda ihr gegeben hatte, in die Hosentasche gesteckt zu haben. Doch in welche Hose? Alle Taschen ihrer Hosen im Schrank waren leer. War er herausgefallen? Hatte sie ihn irgendwo anders hineingesteckt? Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Es war der Tag gewesen, als sie Angelo im Gefängnis besucht hatte und von dem Motorradfahrer attackiert worden war. Sie hatte an dem Tag ihre weiße Leinenhose getragen, und die war bei dem Sturz zerrissen. Sie hatte sie in den Sack für die Altkleidersammlung gestopft. Clara rannte in den Keller hinunter, wo der Sack zusammen mit etlichen anderen darauf wartete, von Herrn Manninger in einem seiner lichteren Momente nach oben geschleppt zu werden. Sie knüpfte hastig die Schnur auf und zog die zerknitterte Hose heraus. In der Tasche knisterte es. Sie hatte sich nicht getäuscht: Karl Killesreiter stand dort in Lindas ordentlicher Druckschrift und eine Telefonnummer.
Es dämmerte bereits, als Clara mit Elise den schnurgeraden Weg entlangging, der vom Hofgarten zur Staatskanzlei führte. Am Ende des Weges glänzte noch für wenige Minuten die Kuppel des Regierungsgebäudes im Licht der Abendsonne, dann versank sie langsam im hellen Violett des Frühlingsabends. Der feine Kies knirschte unter ihren Füßen, und sie genoss es, mit dem großen grauen Schatten an ihrer Seite hier entlangzuschlendern und zu spüren, wie ein altes, vertrautes Gefühl langsam zurückkehrte. Sie konnte es nicht benennen. Es hatte damit zu tun, wie selbstvergessen glücklich ihr Hund neben ihr herlief, an manchen Stellen stoppte und ausgiebig schnüffelte, um dann unvermittelt weiterzulaufen, bis zum nächsten, unsichtbaren Punkt, der seine Aufmerksamkeit fesselte. Es hatte etwas mit dem Geräusch zu tun, das der Kies bei ihren gleichmäßigen Schritten machte, mit dem feinen Duft, der von den abgezirkelten Blumenrabatten herüberwehte, und dem Geigenspiel, das aus dem Pavillon ertönte. Es hatte etwas damit zu tun, dass sie, das erste Mal seit langem nicht das Bedürfnis
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