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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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eben im Hinterhof gehört hatte. Jemand hatte sich dort, verborgen hinter der Hausmauer, eine Zigarette angezündet. Jemand, der sich nicht zu erkennen geben wollte, als sie gerufen hatte. Sie sprang auf und stürzte zum Fenster. Die Straße war menschenleer. Obwohl sie aussah wie immer, still und harmlos, mit ihren kleinen Geschäften und Hinterhöfen, fühlte Clara plötzlich eine Bedrohung hinter den dunklen Torbögen und den schwarzen Schaufenstern lauern. Sie blieb am Fenster ihres dunklen Wohnzimmers stehen und sah hinunter auf die leere Straße. Bei jedem Auto, das vorbeifuhr, zuckte sie zusammen und versuchte zu erkennen, wer darin saß. Doch die Autos fuhren alle weiter. Keines blieb stehen, kein Mensch stieg ein oder aus. Auch sonst war niemand zu sehen. Derjenige, der in ihrem Hinterhof gewartet haben musste, war längst verschwunden. Oder … Clara schluckte und spürte ein Kribbeln an ihrem Rückgrat entlang bis hinunter in ihre Eingeweide: Vielleicht stand er noch immer dort unten und wartete. Worauf? Sie riss sich vom Fenster los und ging in den Flur hinaus, zu ihrer Wohnungstür. Elise folgte ihr erstaunt mit ihren Blicken. Noch einmal Gassi gehen? Um diese Zeit? Sie konnte sich nicht entschließen, Enthusiasmus zu zeigen, doch als ihr Frauchen vor der Tür stehen blieb, ohne sie zu öffnen, den Kopf an die Tür gepresst, erhob sich Elise ächzend von ihrer Matratze und tappte an ihre Seite. Dieses Verhalten kam ihr doch zu merkwürdig vor. Elise spürte Claras Anspannung, als sie neben ihr stand und gab ein leises, beruhigendes Wuff von sich, aber Clara beachtete sie nicht. Sie spähte angestrengt durch den Spion an der Tür und versuchte, irgendetwas in dem dunklen Treppenhaus zu erkennen. Doch da war nichts. Keine Bewegung, kein Geräusch, nur undurchdringliche Schwärze. Sie wagte nicht, die Tür zu öffnen, um zu lauschen, und gleichzeitig schalt sie sich eine Närrin. Wer sollte denn dort draußen lauern? Und weshalb? Der Mann vor der Pizzeria fiel ihr ein und die Art, wie er unverwandt zu ihr hinaufgesehen hatte. Doch auch das konnte doch nur Zufall gewesen sein! Es hatte nichts mit ihr zu tun. Sie ließ die Arme sinken und wandte sich von der Tür ab. Elise warf ihr noch einen weiteren forschenden Blick zu, dann entschied sie, dass es zu verantworten war, sich wieder zur Ruhe zu begeben, und trottete zu ihrem Lager zurück. Mit einem dumpfen Plumps ließ sie sich darauf fallen. Clara lächelte schwach. Dann klingelte das Telefon. Clara fuhr zusammen und brauchte einige Sekunden, um sich zu fassen. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie abhob.
    »Hi, Mum.«
    Clara lehnte sich erleichtert an die Wand. »Sean!«
    Er war aufgekratzt und fröhlich, redete laut und schnell gegen die Hintergrundgeräusche an. Es ginge ihm gut, sehr gut, er habe schon eine Menge Leute kennengelernt, und Ian - Clara spitzte die Ohren und unterdrückte den üblichen Schmerz in der Magengegend -, Ian habe ihm einen Job verschafft, er könne morgen anfangen und während des Studiums sogar weitermachen …
    »Was für einen Job?«, unterbrach Clara argwöhnisch seinen Redefluss.
    »In der Brauerei. Guinness, stell dir das vor! Da gehen die Touristen rein, um eine Führung zu machen, und ich, ich arbeite dort!« Seans Begeisterung sprudelte nur so durchs Telefon und stach Clara mit feinen, messerscharfen Nadelspitzen ins Herz. »Toll!«, würgte sie mühsam heraus und hoffte, Sean würde es nicht bemerken. »Ich bin so froh, dass es dir gut geht, Großer.« Das zumindest war ehrlich.
     
    Nach dem Telefonat zitterten Claras Hände stärker als zuvor. Vergeblich versuchte sie, die Tränen wegzuwischen, die gekommen waren, ohne dass sie sie bemerkt hatte. Ihre Nase schmerzte. Sie ging in die Küche. Die Tränen wollten nicht versiegen. Sie rannen unaufhörlich das Gesicht hinunter, lautlos, ohne ein Schluchzen. Clara zwinkerte. Die winzige Küche schien ihr der sicherste Ort zu sein. Doch sogar hier waren die Tränen nicht zu bannen. Und dann kamen sie. Die Bilder, die vor ihren Augen in dem Moment erschienen waren, als Sean von seinem neuen Job erzählt hatte. Die Brauerei in Dublin. Jenseits des Kanals. Die roten Mauern. Die Erinnerung an jenen Sonntag im August überfiel sie mit einer Macht, die sie nach all den Jahren nicht mehr für möglich gehalten hatte. Nach all den Jahren, in denen das Grauen verblasst zu sein schien, die Panik gebannt. Sie rannte wieder die endlose Backsteinmauer entlang. Zu ihrer Rechten das

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