Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
Vom Netzwerk:
dieses tollkühnen Plans stand in den Sternen. Doch frei in seiner Entscheidung war Filippo nie gewesen. Andere hatten die Weichen für ihn gestellt, und auch jetzt hatte er keine andere Wahl.
    Der Motor dröhnte unnatürlich laut, als Filippo durch die engen Gassen kurvte. Es waren erst wenige Menschen unterwegs, und sie drehten sich nicht um, als er an ihnen vorbeifuhr. Er bog in eine breite Gasse ein, die oberhalb der Piazza entlang- und dann hinunter in die Ebene führte. Hinunter nach Reggio und an das Meer, das man in der Ferne bereits im Dunst erahnen konnte. Als er an einer Bar vorbeifuhr, die schon geöffnet hatte, fiel ihm ein, dass er noch nicht gefrühstückt hatte. Er zögerte. Sollte er? Dann trat er so energisch auf die Bremse, dass das Hinterrad ausbrach. Die Zeit, sich zu fürchten, war vorbei.
    Die müden Gesichter der beiden Männer am Tresen wandten sich ihm zu, als er durch den Vorhang eintrat. Dann, als sie ihn erkannten, drehten sie rasch den Kopf. Filippo war das gewohnt. Seit er denken konnte, hatte ihm noch nie jemand aus seiner Heimatstadt in die Augen gesehen. Die Frau hinter der Theke zeigte ihm den Rücken und hantierte an der Kaffeemaschine. Sie trug einen schäbigen roten Pullover und hatte ihre schwarzen Haare im Nacken zusammengebunden.
    »Ein cornetto , bitte.« Filippos Stimme klang laut und fremd in seinen Ohren. Die Frau packte wortlos eines der Hörnchen aus der Vitrine und legte es auf einen Teller, den sie ihm hinschob. Sie hielt den Blick gesenkt. Während Filippo eine Euromünze auf den Tisch legte, spürte er, wie ihm der Schweiß ausbrach. Die Ablehnung war so deutlich zu spüren, als hätten sie ihn angespuckt. Als die Frau ihm das Wechselgeld gab, erhaschte Filippo jedoch noch etwas anderes in ihrem kurzen Blick: Angst und vielleicht sogar so etwas wie Scham. Sie hatten Angst vor ihm. Und sie würden noch mehr Angst bekommen. Filippo nahm sein Frühstück und verließ die Bar ohne ein Wort. Dann saß er wieder auf seinem motorino und fuhr weiter.
     
    Es dauerte über eine Stunde, bis er endlich Reggio erreichte. Die Sonne schien bereits warm, und längst hatte er Pullover und Jacke ausgezogen und in seinen Rucksack gepackt. Er parkte sein motorino an der Ecke des Marktplatzes und ging zu Fuß weiter. Hier herrschte ein ganz anderes Treiben als in San Sebastiano. Die Händler priesen mit gellenden Stimmen ihre Waren an, und Filippo hatte Mühe, sich an den Trauben der Frauen und Kinder vorbei durch die engen Gassen zwischen den Ständen zu drücken. Es roch nach Fisch und frischem Gemüse und an manchen Ecken durchdringend nach Müll. Dort standen die Plastiktüten, notdürftig verknotet, in riesigen Haufen. Nicht wenige waren aufgeplatzt oder gar nicht erst verschlossen worden, und magere Hunde schnüffelten zwischen den verstreuten Abfällen. Filippo wusste, was das bedeutete: Die Müllabfuhr streikte. Doch die Müllmänner taten es nicht, weil sie bessere Arbeitsbedingungen verlangten oder in der Gewerkschaft waren, nein, sie taten es nur aus einem Grund: Weil er es ihnen befohlen hatte. Sie gehörten ihm, allesamt, und wenn er einer seiner Forderungen Nachdruck verleihen oder auch nur seine Macht in der Stadt demonstrieren wollte, dann blieben die Müllmänner zuhause, bis die Abfälle zum Himmel stanken und die Ratten sich nicht einmal mehr tagsüber versteckten.
     
    Filippo hasste den Markt in Reggio. Er verabscheute die grobe Sprache, die grotesken Gesichter der Händler, die, oft nicht mehr als zwei drei Zähne im Mund, stundenlang immer nur das Gleiche schrien und versuchten, sich dabei gegenseitig zu übertönen: » Frutta fresca« oder » Pesche, pesche! « Er konnte sich erinnern, wie er sich jedes Mal, wenn er seinen Vater im Büro besuchte, voller Angst an die Hand seiner nonna geklammert hatte, die ihnen, aufrecht und mit arrogantem Blick einen Weg durch die Menge bahnte. Am anderen Ende des Marktplatzes stand ein großes Gebäude, auf dem in großen Lettern » Il Calabrese « prangte, der Name der regionalen Tageszeitung, für die sein Vater gearbeitet hatte. Früher hatten am Eingang immer zwei Carabinieri mit Maschinengewehren gestanden. Dies war notwendig gewesen, da die liberale Zeitung immer wieder vehement Stellung gegen die örtlichen Zustände bezogen hatte. Doch als dann Berlusconi mit seiner allumfassenden Medienmacht in Rom eingezogen war, war der Eingang plötzlich verwaist gewesen. Staatlicher Schutz war von da an nicht mehr erforderlich.

Weitere Kostenlose Bücher