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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Der neue Chefredakteur hatte früher für einen der Fernsehsender gearbeitet, der dem Regierungschef gehörte. Und von dem Zeitpunkt, als er den Calabrese unter seine Fittiche bekommen hatte, hatte Ruhe geherrscht: Unbotmäßige Journalisten, die in den vergangenen Jahren nicht getötet worden waren, hatten die Zeitung verlassen müssen, und der Rest der Mitarbeiter beschränkte sich darauf, die Regierung zu loben und über die Flüchtlinge zu wettern, die allenthalben an der Küste aufgegriffen wurden, wohin sie mit klapprigen Schiffen geflohen waren. Zwar hatte die Regierung zwischenzeitlich wieder einmal gewechselt, an den Zuständen im Calabrese hatte sich deswegen nichts geändert.
     
    Filippo erinnerte sich, dass die Politiker erst kürzlich wieder einmal im Fernsehen diese Entwicklung, die ein Rückschritt in finstere Zeiten darstellte, in denen das Geflecht zwischen Politik und Verbrechen noch selbstverständlich und unentwirrbar gewesen war, als sensationellen Erfolg gegen die organisierte Kriminalität gefeiert hatten. »Unsere Presse ist wieder frei« hatte einer der markigen Sätze gelautet, und am nächsten Tag war die Überschrift im Calabrese gewesen: »Unsere Journalisten brauchen sich nicht mehr zu verstecken. Raffaele de Caprisi ist nicht umsonst gestorben.« Als sie dies las, hatte seine nonna einen derartigen Wutanfall bekommen, dass Filippo richtig erschrocken war. Vom Küchentisch aus, an dem sie zusammen beim Frühstück gesessen hatten, beobachtete er halb ängstlich, halb fasziniert, wie sie die Zeitung in tausend Stücke zerfetzte und dabei Schimpfwörter benutzte, die Filippo noch niemals zuvor aus ihrem Mund gehört hatte. Bis zu diesem Tag hätte er jeden Eid darauf geschworen, dass seine Großmutter solche Wörter gar nicht kannte.
     
    Als Filippo durch die schmuddeligen Glastüren ins Foyer der Redaktion trat, überkam ihn ein Gefühl der Trauer, das er schnell wegschob. Er ging zu dem Portier, der hinter einer Glasscheibe saß und die Gazzetta dello sport las, und klopfte an die Scheibe.
    »Eh?« Der Portier war ein dicker Mann mit spärlichen schwarzen Haaren, die ihm feucht auf seinem Schädel klebten. Er richtete desinteressiert ein Auge auf Filippo, der so gleichgültig und selbstverständlich wie möglich sagte: »Ist Mimmo oben?«
    »Welcher Mimmo?«, blaffte der Portier. »Mimmo di Lampedusa, Mimmo Battaglia oder …«
    »Mimmo Battaglia«, sagte Filippo schnell.
    »Ja, ja, der ist oben.« Der Mann wedelte mit seiner schlaffen Hand und hatte seinen Blick längst wieder in die rosa Seiten seiner Zeitung versenkt, als Filippo die Treppen zum ersten Stock hinaufstieg. Also war Mimmo noch hier. Der alte Freund seines Vaters. Derjenige, der mit seinem Vater im Auto hätte sitzen sollen. Der ausgerechnet an diesem Tag krank gewesen war.
     

MÜNCHEN
    Als Clara am nächsten Morgen in den Spiegel sah, erschrak sie heftig. Ihre Nase war dick geschwollen und saß wie eine matschige Tomate in ihrem Gesicht. Rund um die Nasenpartie und unter ihren Augen, die winzig klein und müde aus einem Ring von Fältchen hervorblinzelten, hatte sich ein gewaltiger Bluterguss ausgebreitet und gab ihr das Aussehen eines k. o. gegangenen Boxers. Clara tastete vorsichtig die Schwellungen ab und verzichtete auf das Waschen. Mit einer nassen Bürste fuhr sie sich einige Male durch ihre störrischen Locken und presste sie mit beiden Händen an den Kopf. Dann zog sie sich rasch und wenig sorgfältig an und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Ein Blick auf Elise, die ganz gegen ihre Gewohnheit schon winselnd an der Tür stand, und ein zweiter Blick auf die Uhr ließen sie laut fluchen. Sie hatte verschlafen. Rasch packte sie ihren alten Parka und die Aktentasche und verließ mit der hektisch vorauseilenden Elise die Wohnung. Frühstücken konnte sie auch bei Rita.
    Als sie verschwitzt, mit wehender Jacke und klopfendem Kopfschmerz mit einem letzten Stück Croissant in der Hand ins Büro stürmte, stieß Linda, die Sekretärin, einen spitzen Schrei aus und hob ihre sorgfältig manikürten Fingerspitzen an den hübschen Mund: »Wie sehen Sie denn aus?«, hauchte sie entsetzt und schüttelte ihr glänzendes Silberhaar in den Nacken, offenkundig fassungslos darüber, wie tief jemand sinken konnte, wenn es um das äußere Erscheinungsbild ging. Clara warf den Kopf herum wie eine gereizte Natter und wollte etwas Scharfes erwidern, doch der Umstand, dass ihr Mund mit einem dreiviertel Croissant gefüllt war,

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