Das Gesetz Der Woelfe
hinderte sie daran. Wortlos kauend stapfte sie die Stufen zu ihrem Schreibtisch hinauf und warf die Aktentasche auf den Stuhl. Willi, der gerade am Telefon war, musterte sie mit erhobenen Augenbrauen und deutete mit seiner freien Hand überflüssigerweise zunächst auf seine, dann auf Claras Nase, während er desinteressiert in regelmäßigen Abständen »Ich verstehe, hm, ja, ich verstehe« ins Telefon murmelte. Als das Telefonat beendet war, wandte er seine ganze Aufmerksamkeit Clara zu, die sich inzwischen hinter ihren Aktenbergen verschanzt hatte.
»Du hast da was … in deinem Gesicht.« Er deutete wieder auf ihre Nase und grinste breit. »Hast du dich geprügelt?«
»In der Tat«, antwortete Clara maliziös und nahm sich eine Akte vom Stapel. Sie vertiefte sich in die Streitereien zweier Mieter über die Grillgewohnheiten der einen Partei. Seit Wochen versuchte Clara vergeblich, den Streit beizulegen, letzte Woche hatte er darin gegipfelt, dass der eine Mieter das brutzelnde Feuer der Freiluftköche mit einem Hochdruckreiniger gelöscht und dabei den Grill zerstört hatte. Höhe des Schadens rund zweihundertfünfzig Euro, wenn man die Reinigung des Teppichs mit berücksichtigte.
Clara ließ Willi noch ein paar Minuten in seiner Neugierde schmoren, dann gab sie nach. Sie klappte die Akte zu und erzählte ihm ihr gestriges Abenteuer. Den Mann vor der Pizzeria und den nächtlichen Besucher in ihrem Hinterhof, wer auch immer es gewesen war, verschwieg sie jedoch ebenso wie ihre eigenen Gespenster, die vergangene Nacht zurückgekehrt waren. All das kam ihr im Licht des strahlenden Vormittags ein wenig hysterisch und übertrieben vor.
Willi musterte sie prüfend, schwieg aber.
»Was?«, schnappte Clara. »Sag schon, dass du es Scheiße findest, was ich da mache.«
Willi hob seine Hände. »Wenn du es sagst …«
Clara hatte keine Kraft zu streiten. Sie musterte Willi aus müden Augen und versuchte Worte zu finden, die ihm erklären konnten, weshalb sie der Fall des Angelo Malafonte so aufbrachte.
Sie wollte ihm von dem Zorn erzählen, der sie angesichts Obersteins Arroganz schier überwältigt hatte, und von der bestürzenden Resignation und Angst in Malafontes Augen, wenn er unaufmerksam genug war, seine mühsam einstudierte Deckung aufzugeben. Doch sie konnte all das nicht sagen. Sie konnte sich nicht rechtfertigen. Denn damit hätte sie sich verraten. Hätte mehr offenbaren müssen, als ihr lieb war. Mehr, als sie sich selbst gegenüber zugestehen wollte. Sie hätte sich auf verbotenes Terrain wagen müssen, und dazu fühlte sie sich nicht in der Lage.
»Es ist so ungerecht«, sagte sie deshalb nur.
Willi lächelte. »Wann ist es das nicht?«
Später am Nachmittag begann Clara, sich langsam besser zu fühlen. Ein Aspirin, ein paar Eiswürfel und Ritas überdimensionales Thunfischsandwich ließen den inneren und den äußeren Schmerz allmählich verblassen. Rita setzte sich zu ihr, während Clara mit dem letzten Stück Weißbrot die würzige Soße vom Teller wischte. »Wie kriegst du nur diese Salsa so hin?«, fragte Clara kauend. »Gibt’s da ein Geheimnis?«
Rita zuckte mit den Schultern: »Ein Rezept von zuhause, kein Geheimnis. Vielleicht die Kapern?« Doch man sah, dass sie geschmeichelt war. Ihre Sandwiches waren berühmt. Sie warf Clara einen schrägen Blick zu. »Geht’s wieder mit deinem Gesicht?« Clara tastete vorsichtig an ihrer Nase herum und grinste. »Ich werd’s überleben. Dank deiner Fürsorge und deinem Sandwich.«
Ritas Lächeln war etwas verkrampft. Nach einer Weile, in der sie Clara nachdenklich musterte, senkte sie die Augen und presste die Lippen zusammen. Sie schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, jedoch nicht zu wissen, wie sie damit herausrücken sollte.
»Was ist los?«, fragte Clara rundheraus. »Du hast doch was.«
Rita schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist nur … ich meine, wenn … Du solltest es mir sagen, weißt du!«
»Was sagen?«, fragte Clara erstaunt.
Rita wand sich ein wenig. »Du musst nicht meinen, damit weitermachen zu müssen wegen … meinetwegen. Bitte, wenn so etwas passiert … Hör auf damit, ja?« Sie wollte aufstehen.
»Halt!« Clara hielt sie fest. »Könntest du dich etwas deutlicher ausdrücken, bitte? Ich verstehe kein Wort!«
Rita setzte sich zurück auf die Stuhlkante, warf aber immer wieder nervöse Blicke hinter die Bar, als warteten zahllose Gäste darauf, bedient zu werden und als säße nicht nur die alte Frau Schneider von
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