Das Gesetz Der Woelfe
ungefährlich«, meinte er und fügte viel sagend hinzu: »Für die Hunde.« Dann lächelte er breit. Clara sah, dass seine Zunge gepierct war, und an einem Zahn glänzte ein winziger Edelstein. Sie lächelte zurück: »Und für die Briefträger und Jogger?« Der junge Mann verzog das Gesicht zu einer tragischen Grimasse. »Na, jedenfalls versucht man nicht, sich einem Mädel noch mal zu nähern, wenn man eine Ladung davon im Gesicht hat.« Clara lachte. »Genau das, was ich brauche«, meinte sie und nahm das Spray.
Zuhause lieh sie sich von Frau Manninger, der Hausmeisterin, einer schmalen, gebeugten Frau Ende fünfzig, mit straff zurückgezurrtem Haar, eine Leiter.
»Lassen S’ des doch mein’ Mann machen«, wandte sie halbherzig mit ihrer papierdünnen, hohen Stimme ein, während sie Clara die Leiter aus dem Schuppen reichte. Doch Clara schüttelte nur den Kopf, und Frau Manninger erwiderte nichts darauf. Mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern schlurfte sie hinter Clara in die Einfahrt hinaus. Die blaue Kittelschürze, die sie trug, schlotterte ihr um den mageren Leib.
Im ganzen Haus wusste man, was für ein übler Trinker Leo Manninger war. Die Bezeichnung Hausmeister, die ihn und seine Frau dazu berechtigte, in der billigen Souterrain-Wohnung des Blocks zu leben, hatte er sich in den ganzen Jahren, seit Clara hier wohnte, an keinem einzigen Tag verdient. Die einzige Beschäftigung in dieser Richtung, die er zwischen den Saufgelagen als seiner würdig erachtete, war es, den kleinen Rasenstreifen im Hinterhof mit einem mechanischen Rasenmäher zu mähen, was - unterbrochen von mehreren Bierpausen - immerhin einen ganzen Vormittag im Monat in Anspruch nahm. Für ihn eine willkommene Gelegenheit, sich in Hasstiraden über scheißende Hunde und spielende Kinder, die den Rasen zertrampelten, zu ergehen und jeden Mieter, der das Pech hatte, an jenem Vormittag seine Kreise zu stören, mit bösen Blicken zu verfolgen und gelegentlich in seine Beschimpfungen mit einzubeziehen. Clara, nicht nur mit einem besonders großen Hund, sondern auch noch mit einem besonders aufgeweckten Teenager gesegnet, war dem Hausmeister dabei in den vergangenen Jahren immer ein besonderer Dorn im Auge gewesen. Dies änderte sich auch nicht, als Sean, langsam den Teenagerjahren entwachsen, seinen Aktionsradius vom Hinterhof in andere Gefilde verlagerte. Für den Hausmeister würde er immer der Bankert von dem rothaarigen Luder bleiben, der ihm die Scheibe seines Küchenfensters mit einem Fußball zertrümmert hatte. Clara hatte den widerstrebenden Sean damals gezwungen, sich zu entschuldigen, doch angesichts der Boshaftigkeit, mit der der Hausmeister daraufhin über den Zwölfjährigen herfiel und auch lange danach noch keine Gelegenheit ausließ, ihn zu demütigen, war sie kurzzeitig versucht gewesen, ihm die Fensterscheibe eigenhändig ein zweites Mal einzuschlagen. Ein handfester Streit zwischen ihr und dem alten Säufer, in dem Clara schließlich ganz unverhüllt damit drohte, ihn bei dem Hauseigentümer anzuschwärzen und dafür zu sorgen, dass er seine Stelle verlieren würde, half, eine Art Waffenstillstand herzustellen, über den die ganze Hausgemeinschaft erleichtert war. Trotz aller Ärgernisse, die von diesem Menschen ausgingen, war man nämlich stillschweigend übereingekommen, die Familie nicht hinauswerfen zu lassen, was beileibe nicht am Hausmeister selbst, sondern an dessen Frau lag, die, unscheinbar wie eine Kellermaus, stumm ihren Gatten ertrug und die allen leidtat.
Und deshalb schraubte Clara nun auch eigenhändig die zerschlagene Glühbirne aus der Fassung und ersetzte sie durch eine neue, beflissen begleitet von Frau Manninger, die es sich am Ende nicht nehmen ließ, die schwere Leiter selbst wieder zurück in den Schuppen zu schleppen.
Es war merkwürdig, wie diese unheimliche, kaum fassbare Bedrohung, die von Gaetano Barletta und diesem ganzen Fall ausging, durch so etwas Kleines und Unbedeutendes wie der Kauf einer neuen Glühbirne und eines Hundeabwehrsprays gemildert werden konnte. Es hatte wohl etwas damit zu tun, wie man sich angesichts einer Gefahr verhält, überlegte Clara, während sie in der warmen Frühlingssonne, die sich nach Kräften bemühte, den gestrigen, nachwinterlichen Ausrutscher wieder wettzumachen, entschlossen die Straße entlang zur U-Bahn marschierte, Elise fest neben sich an der Leine. Entscheidend ist, ob man abwartet und sich von der Angst in die Enge treiben
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