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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Kalabrien. Es war seine Art, wie Mimmo gehört hatte, immer wieder selbst in Erscheinung zu treten und sich nicht hinter seinen Schergen zu verstecken. Er scheute sich nicht, auch die schmutzigen Geschäfte persönlich zu erledigen, und noch bis vor wenigen Jahren bedeutete dies auch, dass er mitunter eigenhändig einen Mord ausführte, wenn er es für notwendig hielt. Dies war Teil des Geheimnisses seiner Macht, die seit Jahren unangefochten Bestand hatte, und, soweit Mimmo wusste, von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wurde.
    Seine Leute respektierten und bewunderten ihn nicht zuletzt deswegen so grenzenlos, weil er sich nicht scheute, sich selbst die Finger schmutzig zu machen, obwohl er es längst nicht mehr nötig hatte. Und natürlich fürchteten sie ihn deshalb auch so sehr. Er war keiner, der sich eine Schwäche erlaubte, und er brauchte niemanden, um seine Entscheidungen zum Vollzug zu bringen.
    Es zeigte aber auch, wie sicher er sich fühlen konnte. Sicher vor jeder Verfolgung durch den italienischen Staat, den er und seinesgleichen nie als legitimes Regierungssystem neben oder gar über der’Ndrangheta anerkannt hatten. Die desolaten Zustände, die mitunter in den Bereichen herrschten, in denen die Regierung angeblich das Sagen hatte, schienen seine Ansicht, die bessere Art »Staat« anzuführen, zu bestätigen.
    Um diese Meinung zu teilen, musste man jedoch großzügig darüber hinwegsehen, dass sich dieser »Staat im Staat« durch Drogen, Prostitution, Menschenhandel und Wirtschaftskriminalität im großen Stil finanzierte und damit einen weitaus größeren Jahresumsatz erzielte, als das legale Bruttosozialprodukt von ganz Kalabrien. Auch durfte man nicht zimperlich sein, wenn man die Art und Weise betrachtete, wie die’Ndrangehta mit denjenigen verfuhr, die gegen ihre »Gesetze« verstießen. Orazio Sant’Angelo hätte für Bedenken in dieser Richtung nur ein gelangweiltes Achselzucken übrig. Er sei schließlich dafür da, seine Leute zu beschützen, und diejenigen, die sich nicht an die Regeln hielten und damit andere gefährdeten, müssten bestraft werden. Bedauerlich, aber notwendig.
     
    Mimmo schluckte mehrmals mühsam den Speichel hinunter, der sich in seinem Mund unablässig sammelte, während er schweigend darauf wartete, was Sant’Angelo zu sagen hatte. Er versuchte, ihn nicht zu intensiv anzusehen, konnte aber auch den Blick nicht abwenden. Obwohl Sant’Angelo mittlerweile schon weit über sechzig sein musste, war er noch immer eine imposante Erscheinung. Nicht besonders groß und eher schmächtig, aber durchtrainiert und drahtig. Sein ehemals weißblonder Haarschopf hatte ihm in jungen Jahren seinen Spitznamen gatto bianco - weiße Katze - eingebracht und war zu Schulzeiten sicher zunächst ein Spottname gewesen, wie alle Namen, die sich auf äußerliche oder körperliche Auffälligkeit bezogen. Inzwischen diente er als Synonym für die Macht, die dieser Mann besaß, und die Furcht die er verbreitete. Jetzt zogen sich längst graue Strähnen durch die blonden Haare, was ihnen die gelblich-graue Farbe von Kohlenasche verlieh. Sein Gesicht mit der scharf kontrastierenden olivfarbenen Haut war glatt und so faltenlos wie das eines Vierzigjährigen. Einzig seine Augen, die mit den Jahren immer tiefer in die Höhlen zurückgetreten waren, verrieten, dass er älter sein musste, als er wirkte. Es schien, als hätten die Augen begonnen, sich zurückzuziehen von all diesen Dingen, die er ihnen über die Jahre zu sehen zugemutet hatte. So, als wären die Augen der weißen Katze verletzlicher als seine Seele, die von all den Grausamkeiten, die er begangen hatte und noch begehen würde, unberührt geblieben war.
    Mimmo wusste, dass Orazios Schweigen ein Teil der Taktik war. Ein Mittel, ihn einzuschüchtern und nervös zu machen. Und es wirkte hervorragend. Verstohlen rieb er seine feuchten Hände, sicher, dass er seine Furcht längst bemerkt hatte. Er konnte die Angst riechen wie ein Tier. Witterte die Furchtsamen, die Wankelmütigen, die Verräter und solche, die es werden würden. Mimmo erschauerte bei dem Gedanken daran, was Filippo von ihm verlangt hatte. Wie hatte er nur ernsthaft einen Augenblick daran denken können, es zu tun? Es wäre sein sicheres Todesurteil gewesen. Für den Jungen sowieso. Er war ohnehin so gut wie tot angesichts dessen, was er vorhatte. Typisch Caprisi, dachte Mimmo mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit. Immer mit dem Kopf durch die Wand und kein Gedanke an die

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