Das Gesetz Der Woelfe
Folgen. Keine Vorsicht. Keine Diplomatie. Keine Rücksicht auf die Verhältnisse. Doch er würde sich nicht mitreißen lassen von dieser Unüberlegtheit des Jungen. Er würde besonnen und ruhig bleiben und abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Filippo konnte diese Geschichte nicht lebend überstehen, auf keinen Fall. Sie würden es nicht zulassen. Aber er, Mimmo Battaglia, würde am Leben bleiben. Weil er klug war. Er begann sich ein wenig zu entspannen. Ihm konnte nichts passieren, denn er hatte nichts getan. Noch nicht. Und er hatte, gottlob, rechtzeitig begriffen, dass es dabei bleiben musste.
»Was wollte der Caprisi-Junge von dir?« Die Frage kam beiläufig, fast so, als interessierte sich Sant’Angelo gar nicht wirklich für die Antwort. Mimmo zuckte trotzdem zusammen.
»Äh. Nnnichts weiter, Signore«, log er und hörte selbst, wie unglaubwürdig es klang. Er beschloss, mit der halben Wahrheit herauszurücken, als er sah, wie Sant’Angelo die Brauen hob und ihm endlich sein Gesicht ganz zuwandte. Da er mit dem Rücken zum Fenster, der einzigen Lichtquelle des Raumes saß, lagen tiefe Schatten über dem Gesicht, sodass die Augen nicht zu sehen waren.
»Er wollte die Kamera seines Vaters. Ich hatte sie noch.« Mimmo wischte sich so unauffällig wie möglich den Schweiß von der Stirn.
»Warum ausgerechnet jetzt? Was hat er damit vor?«
»Vor?« Mimmo riss in höchstem Erstaunen die Augen auf und beglückwünschte sich innerlich zu seiner schauspielerischen Leistung. »Keine Ahnung. Dachte mir, er würde sie aus sentimentalen Gründen haben wollen. Hat schließlich seinem Papa gehört. Und vielleicht interessiert er sich neuerdings fürs Fotografieren«, schloss er etwas lahm.
Orazio Sant’Angelo antwortete nicht gleich. Er hielt seinen umschatteten Blick noch eine Weile auf Mimmo gerichtet, dann wandte er sich ab und stand auf. »Wie auch immer«, meinte er leichthin. »Er wird sein neues Hobby nicht lange genießen können, denn du wirst ihn töten.«
Mimmo war, als habe sich der Boden unter ihm aufgetan, und bei der nächsten unbedachten Bewegung würde er in die Tiefe fallen. Er öffnete den Mund, um zu protestieren, doch es kam kein Laut heraus. Das also war die Aufgabe, die sie ihm zugedacht hatten, von dem Moment an, an dem er den Vater verraten hatte: Den Sohn zu töten, wenn es so weit war. Wenn Sant’Angelo befand, es wäre der richtige Zeitpunkt gekommen. Mimmo hatte natürlich von der misslungenen Aktion gehört und sich gefragt, wer wohl die Arbeit zu Ende brächte, die dem seit Jahrzehnten dauernden Widerstand der Familie de Caprisi nach diesem peinlichen Rückschlag endlich den tödlichen Schlag verpassen würde. Aber dass er dazu ausersehen war, dieser Jemand zu sein, daran hatte er im Traum nicht gedacht. In der Kammer schien es plötzlich unerträglich heiß zu sein. Er schnappte nach Luft und öffnete den obersten Knopf seines Hemdkragens. Die Sonne, die jetzt durch das kleine Fenster schien, schnitt einen scharfen Strahl durch die staubige, vom Geruch der Friseurmittel und Mimmos Angstschweiß getränkten Luft. Sant’Angelo ging um den kleinen Tisch, an dem er gesessen hatte, herum und beugte sich zu Mimmo hinunter. »Hast du etwa ein Problem damit?«, fragte er, und es klang fast fürsorglich. Mimmo japste und stieß schließlich hervor: »Ich bin doch kein Mörder!«
Auf dem Gesicht der weißen Katze erschien ein breites Grinsen, das auf Mimmo wirkte wie das Zähnefletschen eines Raubtiers, kurz bevor es dem Opfer die Kehle durchbeißt. Orazio Sant’Angelo hatte, seiner gepflegten Erscheinung zum Trotz, gelbe, ungepflegte Zähne wie die eines alten Bauern. Die unteren Eckzähne waren spitz und standen ein wenig vor. »Du denkst also, du bist kein Mörder? Denkst du das wirklich?« Er lachte lautlos und schüttelte den Kopf: »Was für ein erbärmlicher Feigling du doch bist, Mimmo. Hast dir wohl die ganze Zeit eingeredet, du würdest keine Schuld am Tod deines Freundes tragen, nicht wahr? Es waren ja die anderen, die Bösen, die die Bombe gezündet haben.« Sant’Angelos Gesicht kam näher, und Mimmo konnte seine hellen, kalten Augen sehen. »Du hast mit deinen Informationen dafür gesorgt, dass dein Freund Raffaele de Caprisi von einer Bombe zerfetzt wurde, die so stark war, dass sie seine Körperteile auf der Straße zusammensuchen mussten, und denkst, du bist kein Mörder! Aber ich, der den Befehl dazu gegeben hat, bin einer, nicht wahr? Du bist ein Idiot,
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