Das Gesetz des Irrsinns
Stab-Ende. Anreißen, hartes und weiches Anschlagen: so entstand ein überaus reicher Panoramaklang im Innenhof, den ich als garantiert erster Europäer betreten durfte. Es entwickelte sich ein reger Austausch von Klängen und Klangfolgen in unterschiedlichster Tonhöhenverteilung, Anschlagsart, Tondauer.
Mit dieser Darstellung erreichte ich, was ich ersehnt hatte: Der oft verschlossene (oder als verschlossen geltende) Beethoven entwickelte Zutrauen, ließ mich sogar teilnehmen an seiner Arbeit, und so habe ich, in einer letzten Phase akustischer Erhellung, Beethoven mit meinen bescheidenen Mitteln beim Komponieren assistiert.
Er war wieder einmal unzufrieden mit der
Leonoren
-Ouvertüre; die erste Fassung hatte ihm überhaupt nicht mehr gefallen, die zweite akzeptierte er schon eher, sie erfüllte aber noch immer nicht seine hoch angesetzten Erwartungen. So gingen wir die wild hingeworfnen Noten durch. Rasch erkannte ich einen der Schwachpunkte, notierte einen Vorschlag. Beethoven schaute auf, sah einen Ansatz zur Lösung des Problems, begann mit fliegender Hast Noten zu schreiben, schob mir das Blatt zu, und siehe da: Aus einem brauchbaren Vorschlag war eine geniale Lösung geworden.
Bald schon begannen sich Zettel auf dem Tisch zu häufen, Zettel, die bei Ludwigs temperamentvoll unterstreichenden Armbewegungen schon mal vom Tisch gefegt respektive geweht wurden. Ja, es war noch viel zu tun an der Ouvertüre, die musste breiter angelegt, folgerichtiger aufgebaut werden. Ich wagte einen weiteren Vorschlag, Beethoven griff den fast begierig auf, setzte ihn sogleich um in eine Notenfolge, und auch hier wieder zeigte sich die Pranke des Löwen. Dies schrieb ich sinngemäß auf einen der Zettel, und Beethoven, mit Freudentränen in den Augenwinkeln, umarmte mich con brio, con fuoco, gab mir einen Kuss auf die Stirn, sprach aus, was ich nicht hören konnte, doch Wort für Wort verstand. Zuletzt verbrannte er alle Zettel mit Vorschlägen: Transformation gelungen,
Leonoren
-Ouvertüre (oder Zwischenspiel) vollendet.
Anschließend haben wir, wie befreit, gemeinsam musiziert, improvisiert, fantasiert, Beethoven am Flügel, ich mit dem Bassetthorn, zwei taube Musiker im Duett, wir verständigten uns über Blicke, ich dicht neben dem Broadwood-Flügel. Beethoven warf mir, von den Tasten aufblickend, rasche Seitenblicke zu, da kamen die Einsätze präzis, immer mächtiger die Akkorde, die Beethoven setzte, ohne sie zu hören, immer rascher die Notenfolgen auf der Alt-Klarinette, die ebenso wenig gestimmt werden musste wie der Flügel, die Klänge, die Klangfolgen fanden ihre Vollendung in unser beider Köpfen.
Diesen Zwischenbericht abschließend, darf ich noch eine persönliche Bemerkung einfügen: Mit diesem meinem ersten Besuch bei Beethoven war es mir zum letzten Mal gelungen, das Gehör mit dem Opiat befristet zu aktivieren. Nach dieser Audienz wollte mir das nie wieder gelingen. Oder: ich wollte danach nicht mehr erleben, dass mir so etwas noch einmal gelänge. Ich glaube, dafür eine Erklärung vorlegen zu können: Ich hatte mich so vorbehaltlos, so vollständig mit dem ertaubten Meister identifiziert, dass ich den letzten Rest an Hörfähigkeit für immer verabschiedet habe.
Und gleich eine weitere Sequenz aus meinem so erfolgversprechenden, dennoch vom Schumann nicht vertonten Libretto!
Damit die Handlung nach der Pause wieder anlaufen kann, muss Mona Lisa der Schlüssel ausgehändigt werden zum Schrank, in dem Giovanni de Salviatis eingesperrt ist: schicksalhafter Zufallsfund! Mona Lisa zieht die Leiche des Erstickten aus dem Schrank, schafft den toten Liebhaber diskret auf Seite … Prompt erscheint der Hausherr, der Ehemann … Doch Mona Lisa, nun Herrin der Lage, überreicht ihm den Schlüssel mit der scheinheiligen Bitte, eine namentlich benannte Perle herauszuholen, sie wolle sich erneut an deren Anblick erfreuen … Vom Schlüsselfund alarmiert, schließt Francesco Giocondo hastig auf, steckt, vergeblich suchend, den Kopf in den Schrank: mächtig der Stoß in den Rücken des Gemahls, Mona Lisa knallt die Schranktür zu, dreht den Schlüssel, einmal, zweimal, zieht, geheimnisvoll lächelnd, den Schlüssel ab, steckt ihn in den Brustausschnitt ihres Renaissance-Kostüms, triumphiert lauthals, während man Francesco Giocondo im Schrank singen hört. L’oscuro … quell’oscuro … lo spiro … l’oscuro … lo spiro nell’oscuro … Und weiter singt er im Schrank mit decrescierend gedämpfter Stimme,
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