Das Gesetz des Irrsinns
wurden; wie ich Beethoven zeichnete, der gnomhaft, Hände auf dem Rücken, dahinschritt; wie ich für das Weimarer Theater gemeinsam mit Goethe das Bühnenbild zum
Faust
entwarf; wie ich auf St. Helena vor Napoleon auftrat und er mir scherzhaft ernsthaft seinen Dreispitz aufsetzte, mich dergestalt auf und ab schreiten ließ, auf knarrendem, von Ratten unterwandertem Dielenboden; wie mir Hoffmann in vernuscheltem Monologisieren bemerkenswerte Betrachtungen über den Lauf der Weltgeschichte vermittelte, die ich leider vergessen habe.
Ja, und an solch einem Punkt, kaum hatte ich mich warmgeredet, riss Schenk die Hand aus der Schüssel, schlenkerte Wasser ab, das ohnehin nicht mehr kühlte, blies die Kerze aus, griff zum Handtuch, und schon begann er aus seinem wider Erwarten an Merkwürdigkeiten nun doch reichen Leben zu berichten, wobei ich ihm hellhörig Stichworte zuwarf in fortschreitender Identifizierung, ermöglicht und gefördert durch das damals noch wirksame Opiat, das mir auch half, von ihm Angedeutetes sinnvoll, ja sinngebend auszuführen in meiner Kunstnovelle. Dies vor allem bei der zentralen Lebensepisode mit Kronprinz Ludwig von Bayern.
Es war das Singspiel
Der Dorfbarbier
, das den jungen Thronfolger auf Schenk aufmerksam machte und schließlich zu einem Angebot führte, das Farbe in das Leben der Hauptfigur meiner Novelle brachte: Schenk wurde aufgenommen in die kleine Gruppe, die den Herzog auf der großen Tour nach Ägypten begleitete.
Dies via Rom. Rasch bildete sich dort ein Kreis junger Adliger und Künstler verschiedner Couleur, ein Kreis, der von Catel gemalt wurde: »Ludwig I., Kronprinz von Bayern, im Künstlerkreise zu Rom.« Eine tavola longa, an der man sitzt oder steht, Gläser in den Händen, und von links kommt der Wirt herein – helle Hose, dunkles Jackett, Zylinder aufgesetzt: Don Raffaele d’Anglada, in jeder Hand eine Weinflasche. Der lockenköpfige Kronprinz winkt ihn heran, gibt sich damit als Gastgeber zu erkennen, auch für Schenk zwischen dem Architekten Klenze, dem Bildhauer Thorwaldsen auf der einen Seite und Cornelius, dem Maler, Gumppenburg, dem späteren Kriegsminister, auf der anderen Seite. Schenk hat vor sich eine Zither liegen: das Instrument, das ihn auf der Reise begleiten wird – die Violine hat er zu Haus gelassen, ihr Corpus würde auf die bevorstehenden klimatischen Einwirkungen kaum ohne anhaltende Verstimmung reagieren.
Der gastgebende Kronprinz war zu jenem Zeitpunkt erst Anfang zwanzig, jedoch durch Erfahrungen gereift. Er wollte nicht zum »Leibeigenen seiner Gewohnheiten« werden, wollte »die ewige Einförmigkeit« des protokollgerechten Lebens am Hof zu München hinter sich lassen, jenes »bis zur Unbequemlichkeit bequeme Alltagsleben«. Was sich allerdings so alltäglich nicht abspielte mit einer bunten Folge von Ausritten, Parforcejagden, Bällen, von Maskenquadrillen, Theaterspielen et cetera. Dennoch empfand er Langeweile – Hoffmann hätte genuschelt: »Er ennuyierte sich schändlich.« Also wurde der große Aufbruch von der königlichen Familie gutgeheißen, ja gefördert, ein Aufbruch gemeinsam mit dem Hofmaler Catel, einem Leibarzt, einem Pferdeknecht, zwei gleichfalls jungen Männern des bayerischen Hochadels und, schließlich, mit Schenk, allerdings weniger als Komponist denn als Instrumentalist gefragt bei der monatelangen Expedition, die bis an die zweiten Nilkatarakte bei Wadi Halfa, sprich: in den Sudan führte. Immer wieder ließ sich der Herzog den bereits zu Beginn der Expedition entstandenen Nilfahrt-Walzer vorspielen, ja, er war, durch fleißiges Üben im Verlauf der sehr langsamen Fahrt nilaufwärts (streckenweise musste getreidelt werden) recht bald schon in der Lage, die liebenswerte Komposition auf seiner eigenen Zither mit Stützakkorden zu begleiten.
Für Schenk jagten sich auf dieser Tour die Höhepunkte! Ich darf aus einem Schreiben zitieren, das mir höherer Zufall vermittelte: »Verdutzt horchte der alte Vater Nil auf den zu seinen Ehren benannten Walzer. Schenks kunstreiche Weise zitterte durch die vom träumerischen Mondlicht versilberten Tempelruinen von Luxor und Karnak, er brachte den beiden Memnons eine Serenade, spielte auf der Insel Philae und über den Katarakten; selbst an der Grenze Nubiens äußerten die braunen Söhne der Wüste freudiges Erstaunen und Entzücken über das Spiel des deutschen Tonsetzers und des akkompagnierenden ›deutschen Paschas‹.«
Was hier erstaunlicherweise nicht vermerkt ist,
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