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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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während sie sotto voce Triumph erschallen lässt … Francesco Giocondo im Schrank verstummt, Schlussmusik übertönt sein letztes Röcheln. Doch nun bricht la Gioconda zusammen, Mona Lisa lächelt nicht mehr.

    Und mich trifft Goethes gar nicht gestrenger Blick. Ja, ich war auch bei Goethe! Damit dieses Schreiben nicht allzu umfangreich wird, spare ich die Anreise, die »Pilgerfahrt« nach Weimar aus, ebenso, wie ich vom Hausdiener erst mal abgewiesen wurde, wie ich mich ablenkte durch einen Besuch im Theater, den Blick eher auf Goethes leere Loge gerichtet als auf die statuarischen Präsentationen. Ich spare aus, wie ich ersten (schriftlichen) Kontakt knüpfte mit Riemer, seinem damaligen Sekretär, berichte endlich, dass ich schließlich doch zugelassen wurde zu einer Audienz beim Dichterfürsten, wie ich ihm denn Zeichnungen, selbstverständlich eigene, vorlegte zum
Faust
. Und Goethe knurrte Zustimmung – was ich leider nicht hörte, ihm jedoch ansah.
    Es schloss sich seine Einladung an zu einem der Diners, wie üblich mit weiteren Gästen, denen ich auch im Status quo kein Gehör geschenkt hätte, konzentriert auf die Gänseleberpastete, den Hasenrücken. Und ich wurde von Goethe zum Trinken animiert – der hausübliche Rotspon, dem er tüchtig zusprach, und er wies mit aufmunternder Handbewegung auf die Flasche hin, sicherlich begleitet von jenem kleinen Brumm- oder Knurrlaut, von dem ich mal gelesen hatte.
    Im späteren Verlauf: Fortsetzung des Umtrunks, nun zu zweit. Dass ich Goethe nicht hörte, störte mich kaum, es gab ja genug von ihm zu lesen. Es entwickelte sich, was mein Freund Felix (Mendelssohn) als »Lied ohne Worte« bezeichnet hätte – hier war es ein Lied mit vielen Strophen (oder Refrains).
    Und so wurde es intoniert: Auf der Fensterbank mit Blick auf den Frauenplan eine Flasche Rotwein, auf einer Kommode gegenüber ebenfalls eine Flasche Rotwein. Wobei sich nach der Lehre der Südsee gleich die Frage stellte: Welch ein Rot? Es konnte nicht ein Rot an sich, an und für sich sein, das Rot wurde beeinflusst vom Einfall des Lichts, von der Stärke des Lichts, von der Art des Lichts: Tageslicht …? Kerzenlicht …? Licht von Unschlitt oder Öl …? Auf das Thema Licht und Farbe war Goethe durchaus ansprechbar, ich spielte das aus, hob mein Glas vor eins der Kerzenlichter, fächerte auf, was wir pauschal als Rot bezeichnen, was für den Kundigen jedoch ein weites Spektrum bildet zwischen Kirschrot und Ziegelrot, zwischen Karminrot und Rubinrot, Purpurrot. So schmeckten wir, die Gläser vor die Lichter hebend, auch Farbnuancen ab.
    Und gingen auf die beiden Flaschen los, jeder mit dem Glas in der Hand, Goethe goss sich am Fenster ein, ich an der Kommode, wir tranken langsamen Schrittes die Gläser leer beim Durchqueren des Salons, ich füllte das Glas nach an der Fensterbank, und Goethe füllte sein Glas nach an der Kommode. Wir setzten uns langsam wieder in Bewegung, schritten mit stummem Gruß aneinander vorbei, die halbleeren Gläser hebend, ich füllte mein Glas wieder an der Fensterbank, Goethe an der Kommode, er goss ein, ich goss ein – und er, und ich, und er, und ich? Es war bald ein Zustand erreicht, wo nicht mehr gesagt, geschrieben werden kann: Er trank, ich trank, vielmehr: Es wurde ganz einfach getrunken, und falls man das verteilen will auf Ich und Er, so geht das nicht mehr, es kann nur gesagt, geschrieben werden: Goss ein, goss ein, trank aus, trank aus. Oder, noch treffender in der Wechselwirkung: Goss, goss, ging, ging, trank, trank.
    Es blieb nicht beim jeweils stummen Gruß in der Mitte des Salons. Ich sprach ihn auf seine naturwissenschaftlichen Interessen an, brachte meine Ceylon-Expedition zur Sprache, erwähnte Orchideen, die sich in Baumkronen ansiedeln, fand damit höchstes Interesse, fütterte ihn gleichsam an mit dreizähligen Blüten, mit Blütenständen in Traubenform, mit rispenförmigen Blütentrieben, leuchtend gelben Blumenglocken, schuhförmigen Lippen, mit weißen Kelch- und Kronblättern mit geröteter Spitze, mit leuchtend rosaroten bis weißen Blütenständen, mit breiten, lilarosa gefärbten, stark vanilleartig duftenden Blüten, nannte die Phalaenopsis Schilleriana, fand damit entschiedene Resonanz, reichte verbal die hodenförmigen Wurzelknollen der Knabenkräuter nach, ließ den quasi orchideenduftgeschwängerten Salon von schmetterlingsbunten Tropenvögeln durchfliegen, warf Goethe als Stichwort zu: Honigsauger …
    Und er griff auf, formte nach –

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