Das Gesetz des Irrsinns
überlassen … Mit der Rückkehr der Vermissten ist nicht mehr zu rechnen … Wurde der Eckpfeiler so zurückgenommen, dass eine Begradigung der Front eintrat … Wirkt sich aus, dass die eigenen Kräfte von der mittleren Führung bis zum einfachen Mann nicht ausreichend ausgebildet sind … Hat der Feind den Durchbruchsraum erweitert und zieht Kräfte nach … Durchstieß der Feind die Abriegelung … Außergewöhnlich starke Massierung feindlicher Pz. Verbände … Ein immer schneller werdendes Zurückfallen …«
Im Roman dominiert der Briefwechsel zweier fiktiver Figuren in (damals) realen Positionen. In Berlin ein Leiter des Amtes A im FA (die Bezeichnung »Forschungsamt« als Tarnung). In der Residenz der Schorfheide ein persönlicher Adjutant von Reichsmarschall Göring.
Als Begleiterscheinungen, Kontext vermittelnd: fiktive Briefe, die Hanns Johst an Freund »Heini« Himmler schrieb. Dabei habe ich charakteristische Formulierungen vor allem der Begrüßung und Verabschiedung übernommen. Himmler habe ich nicht zu Wort kommen lassen, stattdessen Kaltenbrunner – für den aber Germanist und SS -Obersturmbannführer (Ostubaf) Walter von Kielpinski die meisten Schriftsätze verfasste.
Selbst Hitler kommt zu Wort! Auch hier: Verfremdung durch »Überhöhung«. Das Gesetz des Irrsinns dominierte auch bei vielen nächtlichen Lagebesprechungen im FHQ u, dem Führerhauptquartier in wechselnden Bunkern. Ich habe hier nicht drauflosphantasiert, sondern bin publizierten Protokollen gefolgt. Hier zeigt sich: Es wurde Stuss geredet in längeren Phasen. Realitäten der Front wurden kaum realisiert, eher wurde über Personalia gesprochen, bis hin zum silbernen Kettchen am Handgelenk des ranghohen Offiziers Kiepe. Ich habe Hitlers Suada einiges hinzugemischt, das in anderem Kontext dokumentiert ist. Erweiterter Spielraum der Wahrheit.
Welche Mittel auch immer ich eingesetzt habe, es geschah unter diesem Aspekt: Mentalitäten zur Sprache zu bringen, die das Gesetz des Irrsinns befolgen, es in die Tat umsetzen. Folgerichtig unterstützte »der Führer« auch den letzten Spielfilm des Veit Harlan während der NS -Ära.
Das Mischungsverhältnis von Fakten und Fiktionen wird deutlich durch Vergleich. So folgen Zitate aus der (nach seinem Tod veröffentlichten) Schrift, in der sich Harlan rechtfertigen wollte:
Im Schatten meiner Filme
(Gütersloh 1966 ).
Wegweisend ein Schreiben des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda vom 1 . Juni 1943 an Herrn Prof. Harlan, UFA -Filmkunst-GmbH.
Da heißt es, ohne Anrede, auch ohne »deutschen Gruß«: »Hiermit beauftrage ich Sie, einen Großfilm ›Kolberg‹ herzustellen. Aufgabe dieses Films soll es sein, am Beispiel der Stadt, die dem Film den Titel gibt, zu zeigen, das (!) ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet. Ich ermächtige Sie, alle Dienststellen von Wehrmacht, Staat und Partei, soweit erforderlich, um ihre Hilfe und Unterstützung zu bitten und sich dabei darauf zu berufen, dass der hiermit von mir angeordnete Film im Dienst unserer geistigen Kriegsführung steht.«
Zur Konstellation: Ende Januar war Stalingrad gefallen, 90000 Soldaten gingen in Gefangenschaft. Mitte Mai: der »heroische Kampf der deutschen Truppen auf afrikanischem Boden bis zur letzten Patrone« war beendet. Die amerikanische Invasion auf Sizilien wurde vorbereitet.
Und Harlan berichtete: »Der Film durfte kosten, was er wollte. Er kostete auch etwa achteinhalb Millionen Mark. [Heute, in der Kaufkraft, etwa 85 Millionen Euro.] Das war ungefähr das Achtfache von dem, was ein guter Film damals zu kosten pflegte.
Mit den außergewöhnlichen Vollmachten von Goebbels ausgestattet, konnte ich für meine riesenhaften Bauten soviel Holz requirieren, wie ich wollte, obwohl Holz damals eine Mangelware war. Ich konnte mir überhaupt jedes Material verschaffen. Und darüber hinaus Soldaten in beliebiger Zahl von ihrem Dienst und ihrer Ausbildung wegholen. Goebbels wollte gewaltige Schlachten sehen. Er wollte den ›größten Film aller Zeiten‹ machen, der die Massenfilme der Amerikaner in den Schatten stellen sollte. Ich bekam sogar für eine Szene die echte deutsche Kaiserkrone des Römischen Reiches, die Karl der Große getragen hatte; auch ein Zepter und den Reichsapfel.«
Und weiter: »Ich bekam den Befehl, mich bei der Abfassung des Drehbuchs genau an die Geschichte Nettelbecks, Gneisenaus und die Geschehnisse von 1807 zu halten. Ich sollte eine Liebesgeschichte dazu
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