Das Gesetz des Irrsinns
unterstanden.
Krefeld hingegen war nur Außendienststelle; die personelle Besetzung entsprechend geringer. Offizielle Bezeichnung für Schulenburgs Amtsstelle: »Sachbearbeiter für Judentum und Kirchenfragen«.
Der »kleine Eichmann« war (in Abstimmung mit dem Krefelder Judenrat) federführend in der Organisation der Deportationen. Der Beamte konnte die vom Judenrat vorgelegten Namenslisten erweitern durch eigene Vorschläge – was auch geschah. Schulenburg organisierte im Lauf der Jahre die Deportation von mehr als tausend Krefelder Juden in das KZ Theresienstadt, vielfach Zwischenstation zu einem der östlichen Vernichtungslager.
Als Nachtrag zur Geschichte: Im Entnazifizierungsverfahren der Spruchkammer Krefeld wurde Richard Schulenburg 1947 als »Minderbelasteter« eingestuft. Er konnte diverse Leumundszeugnisse vorlegen (»Persilscheine«) – dies von evangelischer wie von katholischer wie von jüdischer (!) Seite. Ihm wurden höfliche Umgangsformen attestiert, wurde gelegentliches Entgegenkommen zugutegehalten.
Entscheidend für die kulante Einstufung war sicherlich auch in seinem Fall der Hinweis auf die »Befehlskette«. Assoziierende Mitteilungen: Kein eigener Spielraum des Ermessens … Wer sich von der Befehlskette loszureißen versuchte, riskierte unter Umständen sein Leben, sogar das der Familie – die gefürchtete »Sippenhaft« …
Dieses weithin übliche Rechtfertigungsmuster vor einer Spruchkammer wurde von Schulenburg adaptiert und variiert: Reichsführer- SS , oberster Dienstherr auch der Gestapo, erteilte die richtungsweisenden Befehle; der Leiter der Außendienststelle Krefeld, SS -Sturmbannführer Jung, nahm die Befehle entgegen; sie mussten von der Dienststelle umgehend ausgeführt werden, Rückmeldung war erforderlich. Der notorisch heranzitierte »Befehlsnotstand«.
Mit solcher branchenüblichen Argumentation scheint auch Schulenburg Verständnis gefunden, kulante Behandlung bewirkt zu haben. Ein Dokument aber, erst während meiner Arbeit an der Geschichte der Deportation veröffentlicht (es konnte Johnson also nicht vorgelegen haben), es zeigt: Mit der »Judenaktion« vom 17 . September entwickelte man (auch) in Krefeld Eigeninitiative! Denn erst am 13 . Oktober 1944 erteilte Himmler, vermittelt über das Reichssicherheitshauptamt Berlin, den Befehl, alle jüdischen »Mischlinge« und in Mischehen lebenden Juden »listenmäßig zu erfassen« und »zum geschlossenen Arbeitseinsatz« nach Theresienstadt »umzusiedeln«.
Dieser Anordnung war man in Krefeld
um einen Monat zuvorgekommen
! Man konnte, offenbar mit Stolz, Vollzug melden: »Die vom Reichsführer- SS angeordnete Maßnahme gegen Juden, jüdische Mischlinge und jüdisch Versippte war hier bereits im Rahmen der Räumung vorbereitet und durchgeführt, ehe die Anordnung erging.«
Das konnte kurz nach dem Krieg noch erfolgreich kaschiert werden. Zwar durfte der ehemalige Regionalherr über Leben und Tod nicht mehr in den Staatsdienst zurückkehren, er war immerhin Jahrgang 1879 , eine Rente aber stand ihm zu. Die war allerdings um 50 Prozent gekürzt worden, wie üblich bei »Minderbelasteten«.
Das sah Richard Schulenburg nicht ein, er legte schriftlich Protest ein bei der Entnazifizierungs-Spruchkammer Düsseldorf, bestand darauf, dass nicht nur seine 28 Dienstjahre bei der Polizei, sondern auch die 10 Jahre in der Geheimen Staatspolizei berücksichtigt würden bei der Berechnung des Rentensatzes. Auch er wird sich dabei, juristisch beraten, auf Artikel 131 des Grundgesetzes berufen haben, das Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die etwa durch Entnazifizierung ihre Stelle verloren hatten, »einen Anspruch auf Wiederverwendung gewährte und ihren Anspruch auf Versorgung wiederherstellte«.
So lese ich im
Lexikon der ›Vergangenheitsbewältigung‹ in Deutschland
und folge weiter den Ausführungen zur » 131 er-Gesetzgebung«.
Sie ebnete eine »fast vollständige Wiederherstellung der personellen Kontinuität vor allem in den Bereichen der Justiz und der öffentlichen Verwaltung den Weg«.
Weiter: »Das Gesetz sprach allen entlassenen oder vertriebenen pensionierten Beamten die vollen Ruhebezüge zu. Selbst ehemalige Angehörige der Gestapo oder Waffen- SS konnten zu den Anspruchsberechtigten zählen, wenn sie – was für die Masse der älteren Beamten der Regel entsprach – ›von Amts wegen‹ dorthin versetzt worden waren. Konnte etwa ein ehemaliges Mitglied der Gestapo nachweisen, dass es als ordentlicher
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