Das Gesetz des Irrsinns
Feuersäulen. Überall die Gassen wimmelnd von ratlos umherirrenden Flüchtlingen, die ihr Eigentum preisgegeben hatten und sich unter dem Gezisch der feindlichen Feuerbälle von Tod und Verstümmelung verfolgt sahen. Geschrei von Wehklagenden, Geschrei von Säuglingen und Kindern, Geschrei von Verirrten, die ihre Angehörigen in dem Gedränge und der absoluten Verwirrung verloren hatten; Geschrei der Menschen, die mit dem Löschen der Flammen beschäftigt waren, Lärm der Trommeln, Geklirr der Waffen, Rasseln der Fuhrwerke.«
Und wieder Veit Harlan zu den Dreharbeiten, den Produktionsbedingungen. »Die Mole des Hafens der Ostsee-Stadt Kolberg ließ ich durch die Aufschüttung zahlloser mit Salz gefüllter Güterwagen in eine Schneelandschaft verwandeln. Geld spielte ja keine Rolle. Auch ließ ich die Stadt Kolberg zu einem Teil in Groß-Glienicke bei Berlin aufbauen, um sie dort schließlich mit den Kanonen Napoleons zu beschießen und abzubrennen.
In der Stadt und Festung Kolberg, die ich sowohl von einem Schiff von der Ostsee her als auch von einem Fesselballon aus der Luft aufnahm, ließ ich von verschiedenen Standpunkten durch sechs Kameras den beginnenden Untergang der Stadt aufnehmen.
Etwa dreißig Pyrotechniker entwickelten an vielen Stellen der Stadt große schwarze und weiße Rauchwolken. Sie schossen Scheingranaten in die Luft, deren Blitze sich wirkungsvoll gegen den schwarzen und weißen Rauch abhoben. Rund um Kolberg herum ließ ich die in der Geschichte berühmt gewordene Inundation, die Nettelbeck veranstaltet hatte, wiederholen. Das heißt, ich ließ den kleinen Fluss Persante durch Kanäle, die gegraben wurden, in die Niederungen, die um Kolberg herumliegen, so einfließen, dass die ganze Stadt von Wasser eingeschlossen zu sein schien. So war Kolberg vorübergehend zu einer uneinnehmbaren Festung gemacht worden.
Während des Großangriffs der Franzosen auf Kolberg stand ich selbst mit einer Kamera auf einem Schiff in der Ostsee, von wo aus ich auf drahtlosem Wege die Anordnungen an die einzelnen Aufnahmestellen gab. […]
Im Ganzen hatte ich zehntausend Uniformen anfertigen lassen. In den größten Schlachten bekamen die weiter hinten stehenden Soldaten Klosettpapierrollen, die sie sich quer über die Uniform rollen mussten, um das weiße Leder vorzutäuschen, das die damaligen französischen Soldaten von der linken Schulter zur rechten Hüfte trugen. An diesem Lederband hingen das Bajonett, der Säbel oder die Patronentasche. Ich bekam für den Film sechstausend Pferde gestellt, mehrere Eisenbahnzüge und – es war kaum auszudenken – im Ganzen 187000 Soldaten. Die Organisation dieser gewaltigen Aufmärsche lag in den Händen des Produktionsleiters Sperber.
Ich habe mich während der Aufnahmen immer wieder mit den Offizieren über das Opfer unterhalten, das vom Militär für den Film gebracht wurde. Die meisten waren froh, keiner war darauf erpicht, möglichst schnell an die Front zu kommen. Aber niemand verstand, warum ein Film solche Wichtigkeit haben sollte.«
Abschließend: »Im übrigen ist geschichtsbekannt, dass die siegreiche Verteidigung Kolbergs damit endete, dass die Stadt schließlich ihre Tore doch noch den Franzosen öffnen musste, weil der Krieg verloren war. Am Beispiel der Stadt Kolberg hätte man also die Sinnlosigkeit eines bis zur letzten Konsequenz geführten Krieges eher zeigen können als etwa das Sinnvolle, das so wahnwitzige Opfer zu rechtfertigen vermochte.
Um aber die Wirkung des ›Schandfriedens von Tilsit‹ nicht als Schluss des Films hinnehmen zu müssen, war Goebbels eine ›Rahmenhandlung‹ für den Film eingefallen, die im Jahre 1813 spielte, nach der Schlacht bei Leipzig, als Napoleon geschlagen und aus Preußen vertrieben wurde.«
In seinen »Autobiographischen Mitteilungen«
(Reiselieder mit böhmischen Quinten)
berichtet der Komponist Hans Werner Henze von seiner Zeit der Ausbildung als Panzerfunker. Auch er wurde eingesetzt als Komparse bei Dreharbeiten simulierter Kampfszenen. Sein Bericht vermittelt ein wenig von der Atmosphäre, von Begleiterscheinungen solcher Dreharbeiten.
»Wir gehörten zu einem Kontingent von Soldaten und Berliner Offizieren, die auftragsgemäß damit beschäftigt waren, fingierte Frontberichte für Kino oder Lehrfilme für den militärischen Nachwuchs zu drehen. Wir Soldaten waren da, um Soldaten zu spielen: Kriegsschauspieler. Maskenbildner schminkten uns, Kameramänner lichteten uns ab, Drehbuchautoren legten uns
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