Das Gesetz des Irrsinns
Beamter, beispielsweise bei der Kriminalpolizei, ›von Amts wegen‹ zur Gestapo versetzt worden war, hatte auch er Ansprüche nach dem 131 er Gesetz. So öffnete das Gesetz für Gestapobeamte und Soldaten der Waffen- SS ein Schlupfloch, wieder im öffentlichen Dienst verwendet oder vom Staat finanziell versorgt zu werden.«
Diese Voraussetzungen erfüllte auch Judenreferent Schulenburg, vormals bei der Kripo, der Kriminalpolizei. Und die Lobby arbeitete weiter. Nun ging es um die Anerkennung von Beförderungen, die im Dritten Reich erfolgt waren, Beförderungen somit auch bei der Gestapo.
Wieder ließ Schulenburg, taktisch versiert, ein paar Jahre vergehen, auf die Stimmung im Lande achtend, reichte schließlich (wieder in Abstimmung mit dem ehemaligen Kölner Kollegen Löffler) einen Folge-Antrag ein: Auch seine Beförderungen bei der Gestapo sollten berücksichtigt werden. Beförderungen also, die seine erfolgreiche Tätigkeit honorierten: Die effiziente Organisation von insgesamt sechs »Deportationswellen« im Raum Krefeld. Auch diesem Antrag wurde stattgegeben, seine Rente wurde ein zweites Mal erhöht!
Selbst ein Gestapo-Judenreferent hatte weitaus bessere Karten als liberal oder kritisch eingestellte Beamte, die im Dritten Reich entlassen, zumeist auch inhaftiert worden waren, in Zuchthäusern oder Konzentrationslagern. »Zwar hatte der Bundestag wenige Tage nach dem 131 er-Gesetz immerhin auch ein entsprechendes Gesetz zur ›Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes‹ verabschiedet; in der Praxis führte die erinnerungspolitisch motivierte Gleichbehandlung dieser Gruppe aber nicht zuletzt wegen der von NS -Beamten durchsetzten Ministerien und Behörden zu einer erheblichen Benachteiligung der im Nationalsozialismus aus ihren Positionen entfernten Beamten.«
Für einen Schulenburg hingegen zahlte sich die Deportation der Krefelder Juden aus: Anerkennung seiner Verdienste; stufenweise Erhöhung seiner Ruhestandsbezüge; Akzeptanz unter Krefelder Mitbürgern. Dazu trugen offenbar sein Erscheinungsbild, seine Verhaltensmuster bei. Schulenburg genoss, ja: genoss nach dem Krieg einen durchweg guten Ruf in seiner Stadt. Dies besonders bei der evangelischen Kirchengemeinde: bereitwillig trug der Gestapo-Rentner Gemeindebriefe aus.
Und hier: deutlicher Trennstrich zwischen Richard Schulenburg und Karl Hübner! Zwar hatten beide das gleiche Amt, die gleiche Funktion, die gleiche Macht, und doch sind sie nicht identisch. So wird Richard S. zurückverwiesen ins Reich der Archivalien. Und Hübner führt, in der Geschichte, stellvertretend die Deportation auf dem Fahrrad durch.
Dies aber nicht – naheliegend, allzu naheliegend – als weiterer Beitrag zur allgemein geforderten und geförderten »Trauerarbeit«. Die Geschichte wird vielmehr erzählt in einem Medium der Brechung: Als Filmtreatment eines Drehbuchautors der NS -Ära, der sich nach Kapitulation und Wende neu orientieren will, um (wie andere »Filmschaffende«) in der Bundesrepublik die Karriere fortsetzen zu können. Die Deportation wird nachträglich instrumentalisiert als Mittel zum Erfolg auch im veränderten Referenzrahmen der Bundesrepublik.
Assoziationen hier an einen Monumentalbildhauer des Dritten Reichs, der nach dem Krieg ein Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus entwarf. Den Namen des Mannes habe ich vorsätzlich vergessen.
Das Gesetz des Irrsinns: Es sollte die letzte der Geschichten werden, aber sie machte sich selbständig. Das Formprinzip des Hardcoverbuchs
Den Musil spreng ich in die Luft,
es ließ sich nicht mehr durchhalten: Jede der Geschichten, wie schon erwähnt, in der Perspektive einer dominierenden Erzählstimme. Diese Geschichte jedoch bestand darauf, von mehreren Stimmen erzählt zu werden, ebenfalls in briefähnlichen Schriftsätzen. Zudem änderte, verschärfte sich der Ton.
So koppelte ich ab, was nun wieder einbezogen wird – einerseits thematisch angebunden, andererseits formal abgetrennt. Dies allein schon durch den Umfang.
Auch in diesem Roman: Rollenprosa. Müsste eigentlich nicht weiter kommentiert werden. Hier wird allerdings Rollenprosa in sehr spezifischer Ausprägung vermittelt.
Schon die ersten Wörter des Romans signalisieren die Sonderform: »Vertraulich, persönlich«. Dieser Hinweis findet sich auch vor zahlreichen publizierten Dokumenten der NS -Zeit. Den Roman nun konstituieren (halb amtliche, halb vertrauliche) Schriftsätze,
Weitere Kostenlose Bücher