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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Worte in die unreifen Münder. Der Regisseur, ein Spezialist für Schlachtszenen, probte dramatische Angriffs- und Nahkampfbilder, bei denen wir echten russischen Soldaten gegenüberstanden, welche wie wir angehalten waren, sich selbst darzustellen, weswegen alles, was slawisch war an ihnen, durch die findigen Kameraden von der Maske ins Tatarisch-Asiatische hinüberstilisiert wurde, um das Untermenschliche an ihnen zu unterstreichen. Eines Tages war ein Sturmangriff auf einen Hügel inszeniert worden. Er wurde mehrfach geprobt, wobei es darauf ankam, dass man um Gottes willen nicht von den vom Regisseur vorgeschriebenen, mit weißem Sand markierten Wegen abkam. Dann klappte die Klappe, und es wurde gedreht: Ein schöner Leutnant stürmte uns hügelwärts voran, und genau nach Plan gingen die ganz echt aussehenden Explosionen des für solche Zwecke benutzten [Bergbau-]Sprengstoffs Donarit in die Luft, von einem Spezialisten per Schaltbrett gezündet. Es waren ihrer aber so viele, dass die schwarze Erde, die mit ihnen aufflog, die weißen Sandspuren verschüttete, und so ist dann unser Leutnant von einer unter seinen Füßen hochgehenden Donaritladung in Stücke zerrissen worden. Ich sah die Fetzen durch die Luft fliegen, ich krallte mich entsetzt in den Sand, verbarg mein Gesicht und rührte mich nicht vom Fleck.
    Die Schlachtszene wurde abgebrochen und erst mehrere Tage später weitergedreht, nachdem der Leutnant von seiner schönen Frau, von uns und den russischen Kollegen beerdigt worden war. […] Wir hatten wieder viel Zeit, saßen tagelang geschminkt herum und warteten auf unseren Auftritt. Im Drehbuch hatte ich meine stärkste und einzige Stelle mit dem Satz ›Na, Paul, hast du Post bekommen? Was schreibt denn die Mutti?‹ Sie ist nie verfilmt worden, die sich zuspitzenden politisch-militärischen Verhältnisse wollten es nicht mehr zulassen. Man bekam den Eindruck, dass unsere Produktionsleitung sich auf ein Zeitlupentempo eingerichtet hatte, das jedweden Fortschritt vereitelte.«

    Was im Briefroman nicht erzählt werden konnte, soll hier nachgeholt werden: Wie Veit Harlan nach dem Krieg über seine Vergangenheit disponierte und seine Zukunft organisierte.
    Veit Harlan kam (fast ein halbes Jahrzehnt nach der Kapitulation) vor Gericht. Dabei ging es nicht um seine Verherrlichung einer Führerfigur in Filmen wie
Der Herrscher
oder
Der große König
(wieder lieferbar als DVD !). Es ging auch nicht um den
Kolberg
-Film, der – unter dem Gesetz des Irrsinns – die Strategie der Selbstvernichtung feierte. Es ging um den mehr als fatalen
Jud Süß
-Film. Der spielt im Roman keine Rolle. Dafür aber deute ich an, dass Harlan nach
Kolberg
einen
Shylock
-Film drehen wollte.

    Über den Harlan-Prozess informiere ich mich vorrangig im
Lexikon der ›Vergangenheitsbewältigung‹ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945
(Bielefeld 2007 ).
    Harlan wurde Januar 1948 im Entnazifizierungsverfahren als »unbelastet« eingestuft. Die fünf Kategorien der Beurteilung und Verurteilung lauteten damals: Hauptschuldig, belastet, minderbelastet, Mitläufer, entlastet (unbelastet). »Die Spruchkammerverfahren führten nur in den seltensten Fällen zur Verurteilung, geschweige denn zu Strafen. So geriet die anfangs rigoros betriebene Entnazifizierung immer mehr zur Farce; an die Stelle der Bestrafung trat immer mehr die politische Reinwaschung.« Resümee: »Insgesamt gilt die Entnazifizierung als gescheiterter Versuch einer politischen Massensäuberung.«
    In diesem Kontext erschien die Freisprechung Harlans fast normal. Doch sie löste öffentliche Proteste aus, vor allem durch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Sie stellte bei der Staatsanwaltschaft Hamburg einen Strafantrag. Anfang März 49 wurde der »sieben Wochen andauernde Prozess vor dem Hamburger Schwurgericht unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Walter Tyrolf eröffnet«.
    Tyrolf galt intern einer der »Blutrichter« des NS -Regimes; er hatte als Vorsitzender eines der Sondergerichte in der letzten Kriegsphase mehrere Todesurteile ausgesprochen – dazu später Näheres. Tyrolf war denn auch einer der zahlreichen Richter der Nachkriegsära, die das »Rückwirkungsverbot« favorisierten.
    Ein zentraler Begriff der Aufklärung wie des Naturrechts. In knappem Latein: Nulla poena sine lege. In kommentierender Übersetzung der Zunft: Keine Strafe für Handlungen, die zur Zeit der Tat nicht gesetzlich mit Strafe

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