Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
Vom Netzwerk:
nicht unternehmen, ich brauchte landeskundige Begleitung, und die konnte er als Offizier leichter rekrutieren als ich, sein Famulus.
    Doch mein sogenannter Dienstherr redete sich auf Gefahren hinaus: Scharfzähnige Schakale, die man nachts sogar in der Stadt hörte mit ihrem durchdringenden Geheul … Wildschweine, Wasserschweine, allesamt mit Hauern ausgestattet … Krokodile im Wasser, Warane im Wald … Heißhungrige Leoparden und Löwen … Besonders gefürchtet die Kobra, die Kettenviper, der Tigerpython … Der Gaur, groß wie ein Büffel, schwer wie ein Büffel, und wie rasch wird man von ihm attackiert … Der Tiger, der Panther, der Panther, der Tiger … Gereizte Elefanten …!
    Zu allem Überfluss auch noch dies: Das Innere der Insel beherrscht vom singhalesischen König. Der galt als besonders grausam – Gerüchte über Säcke voll geschrumpelter Ohren, ausgelaufner Augäpfel, luftgetrockneter Genitalien. Er schien auf solchen Säcken zu thronen. Je weniger man über ihn und sein Königreich wusste, desto häufiger wurde Abschreckendes erzählt über Kanda-Uda-Pas-Rata, die Hauptstadt der fünf Hügel, die seit alters her Fremden verschlossen blieb.

    Kanda-Uda-Pas-Rata: das prägte sich ein, wurde zum silbenreichen Lockruf! Ich wollte, musste das Geheimnis ergründen. Weil keiner mich begleiten wollte, musste ich spezielle Vorkehrungen treffen. Eine so kleine und leichtgewichtige Person wie ich wird rasch zum Opfer, also zimmerte ich einen Holzrahmen, der mich mehr als kopfhoch überragte und mir zugleich erhebliche Breite verlieh. Den stattete ich üppig aus mit Raubvogelfedern, vor allem der Harpyie, schnallte mir den Rahmen auf den Rücken, sah nun fast doppelt so hoch und doppelt so breit aus, marschierte dergestalt durch den Regenwald. Mehrfach zwischen Baumstämmen, Büschen, Lianen et cetera verkantet und verheddert, folgte ich dennoch konsequent der Richtung, die eine Karte vorzeichnete, ein Kompass vorgab.
    Und ich blieb unbehelligt! Dahinziehende Jäger und Sammler wichen aus, Raubtiere überlegten sich mögliche Attacken dreimal und kamen zu klaren Ergebnissen. Ich erreichte die Position der Stadt Kanda-Uda-Pas-Rata und fand sie nicht vor! Keine Spur von einer Stadt auf weithin dominierender Kuppe. Demnach auch kein bösartiger Herrscher, keine Säcke mit getrockneten Augen und Genitalien. Leichtfüßig kehrte ich bergab zurück, leistete in Colombo meinen Beitrag zu dem (noch ungeschriebenen) Kapitel der Aufklärung auf Ceylon.
    Es folgte eine Phase der Stagnation. Mentale Impulse zur Erkundung und Eroberung des Pflanzenraums wurden mehr als nur gedämpft. Dazu trug eine Person bei, die unerwartet in mein Leben trat: Mallika, vierzehnjähriges singhalesisches Mädchen, das seit zwei Jahren im Waisenhaus arbeitete, dort die Sprache der niederländischen Leitung erlernt hatte. Ich geriet in ihren Bann, wurde ihr Leibeigener der Lust. Damit gewann sie Einfluss auf mich, ja so etwas wie Macht. Sie legte sich wortwörtlich quer bei allen Versuchen, erneut den Weg in die tropischen Wälder zu wagen, spielte bei jedem Aufbruchsbegehren die Vormacht aus, die sie über meinen Körper erlangt hatte. Als sie schließlich erkennen musste, dass mich letztlich doch nichts vom Plan abbringen konnte, stellte sie sich um, machte sich zur Helferin, vermittelte einen Begleiter. Mit ihm zog ich los in den Regenwald.
    Eine Enttäuschung! Der Urwald sah völlig anders aus, als ich mir das bei der Anreise vorgestellt, in vielen Farben ausgemalt hatte. Dreißig, ja vierzig Meter hoch die Bäume, und die Kronen so dicht geschlossen, dass unter ihnen nur wenig gedeihen konnte. Mittelhoher Bewuchs allein dort, wo sich das Kronendach öffnete, etwa nach dem Sturz eines Baumriesen. So war es mir relativ leicht gefallen, mit dem sperrigen Gestell auf dem Rücken voranzukommen.
    Bei jener Exkursion zur fiktiven Stadt auf dem faktischen Bergrücken war mein Blick naturgemäß stets nach vorn gerichtet gewesen, sprich: mehr oder weniger horizontal. Nun aber die große Überraschung: Als ich das mitgeführte Teleskop zufällig in den Bereich der Baumkronen richtete, sah ich durch Blätterlücken hindurch Blüten neben Blüten, Blüten über Blüten – Orchideen, hoch droben auf Ästen gedeihend.
    Aber wie dort hinaufkommen? Kaum Queräste an den hochragenden Stämmen … Mein Begleiter gehörte indes zu den Singhalesen, die in Palmenzonen des Küstengürtels Kokosnüsse ernten, dazu, mit einer Seilschlaufe gesichert,

Weitere Kostenlose Bücher