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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Palmstämme fast hinauflaufen. Ein so erfahrener Kletterer musste auch den Kronenbereich eines der Baumriesen erreichen!
    Was denn auch gelang! Der Kokosnussernter warf erste Muster exotischer Vegetation herab. Ich wollte mehr, mehr, viel mehr von solchen Kreationen in Händen halten, doch der Singhalese kletterte eiligst wieder herunter – fast rutschte er den Stamm herab. Jäh war ihm der Gedanke gekommen, die Pflanzen hoch droben könnten für Götter bestimmt sein, die bei ihren Flügen auf die Kronen herabblicken, ja, auf unserem besonders großen Baum sei ein Zeichen für die Götter gesetzt, ein Pflanzenzeichen, wie es noch kein Menschenauge erblickt hätte, ein schmetterlingsbuntes Signal. Beschreiben wollte er das außergewöhnliche Phänomen aber nicht. Er wiederholte nur immer: Allein für Götter könnten die Gewächse, die Blüten dort oben bestimmt sein …!
    Ich versprach hohe Belohnung für weitere Pflanzenwürfe, doch der Eingeborene ließ nicht mehr mit sich reden: Zur Strafe für fortgesetzten Frevel könnten ihn zum Jähzorn gereizte Elefanten, von Göttern mit überlangen Hakenstangen gelenkt, zwischen Wald und Stadt angreifen, die Ohren ausgeschwenkt, die Rüssel vorgestreckt, grell die Trompetenschreie.

    Vor der großen Baumkronen-Expedition kleinere Exkursionen in den Regenwald. Die habe ich genutzt zu Beobachtungen, wobei ich mich eines Marine-Teleskops bediente, das ich leihweise mitführte zur rechtzeitigen Wahrnehmung feindlicher Annäherungen. Dieses Instrument nun verhalf mir zu einer Entdeckung, die mich in jener Zeit nachlassenden Gehörs zu hoher und höchster Aufmerksamkeit motivierte: Mir gerieten zwei Käfer in den Teleskop-Sichtkreis, die ausgiebig über ihre Fühler kommunizierten.
    Keine beiläufige, womöglich bloß zufällige Beobachtung! Ich nutzte den Umstand, dass die meisten Tiere ihrem Revier treu bleiben. So kehrte ich wiederholt zum vorsorglich markierten Waldstück zurück, um meine Beobachtungen fortzusetzen, Beobachtungen, zu deren Publikation ich leider noch nicht gekommen bin: Das Malen von Bildern und Schildern, das Komponieren von Liedern, das Verfassen von Gedichten und plattdeutschen Märchen hat sich notgedrungen in den Vordergrund geschoben.
    Die Fühler waren fast so lang wie die Käfer selber, die – dem Dschungelgewucher adäquat – etwa handtellergroß waren. Die Fühler gliederten sich in drei Abschnitte, dies mit fließenden Übergängen. Die Spitzen der Fühler waren dunkler als ihre Ansätze, stuften sich fortlaufend ab vom dunklen zum hellen Rotbraun. Die geringen Farbdifferenzen dürften ausgeglichen werden durch unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheit; deren Charakteristika sind äußerlich allerdings kaum erkennbar.
    Die beiden Panzerkäfer beklopften sich jeweils in den gleichen Fühlersegmenten: hart auf hart, mittelhart auf mittelhart, weich auf weich. Woraus sich schließen lässt, dass jeweils ein Segment für ein bestimmtes Spektrum von Mitteilungen bestimmt ist. Wie auch immer: Erstaunlich hoch war die Geschwindigkeit, mit der sich die Fühler wechselseitig beklopften, erstaunlich lang waren die Phasen von Mitteilungen in der von mir entdeckten Berührungssprache.

    In mir arbeitete es weiter: Ich wollte – koste es, was es wolle – in das Reich der hohen Baumkronen eindringen, nur wie …?! In einer Tropennacht der Einfall, der mir als rettende Idee erschien: Eine der Harpunen besorgen, mit denen Wale und Haie gejagt werden … Mit solch einer Harpune das Fangseil hinaufschleudern in den Kronenbereich; die Harpune soll über einen belastbaren Ast hinweg wieder herunterfallen; am Seil wird sodann eine Strickleiter hinaufgezogen, zumindest ein Seil mit dicken Knoten, das Hochklettern erleichternd.
    Ich besorgte mir eine Harpune: sie gehörte zur Ausstattung eines der Schiffe, die vor Colombo auf Reede lagen. Die ersten Würfe misslangen: die Harpune fiel schon vor dem angezielten Ast zurück, verfing sich beim nächsten Wurf in kleinerem Geäst, musste heruntergerissen werden. Doch ich gab nicht auf; mit der mir eigenen Geschicklichkeit gelang der dritte Harpunenwurf, das Seil hing herab von einem kräftigen Ast, die Strickleiter konnte hinaufgezogen werden, ich war kurz, ganz kurz vor dem Ziel – und jäh der Vipernbiss. Eine Kettenviper! Ich schlug sie blitzschnell tot, bepisste mein Bein, wie das für solch einen Fall geraten wurde, doch rasch dehnte sich Rötung aus. Hastig die Rückkehr. Mallika wusste, welche Pflanzen

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