Das Gesetz des Irrsinns
Schwellung und Schmerz dämpfen, doch mehr als Linderung verschafft Osterluzei auch nicht, Schwärzung setzte ein. Pflanzensud, Pflanzenkompressen, damit das Gift sich nicht noch weiter ausdehnte im Körper. Mallika munkelte, einer der Götter hätte die Schlange losgeschickt, zur Strafe.
Und ich machte eine neue Erfahrung mit mir selbst: ich ließ mich in die Krankheit fallen. Hatte es früher schon Ansätze dazu gegeben? Das fiebernde Kind hatte sich gern umsorgen lassen. Die Mutter hatte das gefördert, damals: Schon dich ein bisschen … Und hatte mir, oft über Stunden hinweg, vorgelesen aus Berichten von Expeditionen in ferne Länder, vom oft gefährlichen Erkunden exotischer Pflanzen- und Vogelwelten. Und Namen prägten sich ein! Schlangenhalsvogel … Goldstirnsittich … Grünschnabel-Tukan … Eisvogel Motmot und Maskenpitpit … Was Wunder, dass ich Mallika bat, mir am Krankenbett weiter vorzulesen.
Ich musste mich länger schonen als erwartet: Das Bein weiterhin geschwärzt, nur langsam ging die Schwellung zurück, die Muskulatur blieb angegriffen, obwohl Mallika Pflanzentinkturen mischte für Getränke und Kompressen, unter mehr oder weniger fachkundiger Beratung von Verwandten, auch von Bekannten. Ins Spital aber wollte ich auf keinen Fall: der Sanitätsoffizier sollte nicht rechthaberisch triumphieren …
In der Selbstverpflichtung zur Wahrheit muss ich eingestehen, dass ich in meinem Schmerz, in meiner Verzweiflung nicht allein auf Mallika vertraut, sie vielmehr gebeten hatte, einen Schamanen heranzuziehen. Und der wirkte wahre Wunder! Das sogar über den Heilungsprozess hinaus!
Unter diesem Aspekt sollte ich kurz die Zeremonialkleidung des Schamanen beschreiben, zumindest skizzieren.
Am auffälligsten war der Tanzhut – ja, mit Tänzen wurde mein Heilungsprozess fast synchron begleitet. Der Hut zeigte, und zwar in ganz bestimmter Reihenfolge, Bänder von Federn verschiedener Vögel, wobei jedes Federband einen Naturdämon verkörperte oder eher markierte. Es waren Schwanz- und Kragenfedern in Weiß von einem Hahn, in Schwarz von einem Hokko-Huhn, in Türkis von einem Tukan, in Rot und Grün von einem Ara, wiederum in Weiß von der Harpyie, einem besonders hässlichen, dennoch verehrten Großvogel. Vom Zeremonialhut herab ein langer Nackenbehang aus drei Federreihen, vor allem vom weißen Riesenstorch und dem Gelbbrust-Ara. Beim Tanz gerieten die Federn ins Schwingen wie Flügel eines abhebenden Vogels. Begleitet wurde der Tanz vom Rasseln einer Kalebasse, die verziert war mit kleinen Federbüscheln aus grünen Arafedern und braunhell gestreiften Harpyienfedern. Wichtig auch: jeweils am Oberarm des Schamanen ein Reif; der Baumwollstrang behängt mit Quasten, mit Anhängern aus bunten Glasperlen, mit halbierten Palmnuss-Schalen, besteckt mit buntem Papageiengefieder.
Das Wort »Tanzhut« deutete wohl schon an: mein Heilungsprozess wurde von Tänzen begleitet. Elaborierte Bewegungsfolgen: Da besagte ein Schleifschritt auf einem Viertel des Halbkreises sicherlich etwas anderes als ein Schleifschritt in der Hälfte eines Halbkreises. Mit Schleifschritt und Pendelschritt, Sprungschritt und Schlenkerschritt, Spindelschritt und Zwieselschritt ist das Spektrum der Bewegungen freilich nur angedeutet.
Sie können von diesen Ausführungen unschwer ablesen, dass ich sehr genau hingeschaut und mir alles eingeprägt habe. Was indirekte, aber weiter reichende Folgen hatte, nahm der Medizinmann doch trotz seiner Trance wahr, wie aufmerksam ich seinen Ritualen folgte; es entstand ein Vertrauensverhältnis, nicht wortreich, aber wirkungsstark – wobei Mallika dolmetschend vermittelte. Kurzum, ich durfte schließlich partizipieren an einigen der schamanentypischen Stimulationen: Kauen von speziellen Pflanzen, Trinken vom Sud jener Pflanzen (die ich weder benennen kann noch darf), und man hebt ab in einen Zustand, der laut Mallikas Übersetzung so bezeichnet wurde: Als Vogel ins Jenseits fliegen … Und wieder zurück. Es fand so etwas wie magische Übertragung statt: Als ich geheilt war, besaß ich – wenigstens für kurze, jedoch entscheidende Zeitphasen – die Fähigkeit, abzuheben. Dies im direkten Sinne des Wortes.
Damit Sie nicht annehmen, es handle sich dabei um ein rein exotisches Phänomen, darf ich hinweisen auf einen Vorgang, der im europäischen wie im nordamerikanischen Bereich als
Levitation
bezeichnet wird: die Fähigkeit, sich mit spiritualisierter Körperlichkeit in die Schwebe zu bringen.
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